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Kleine Lobpreysung

Eine meiner prägendsten Lehrerpersönlichkeiten, die nachhaltig beeinflusst hat, wie ich Musik höre und über sie nachdenke, ist der Musiktheoretiker, Kontrabassist, Mathematiker im Herzen und Philantrop Stefan Prey. Zum Ende des Sommersemesters 2022 wird er von der Fakultät Musik der Universität der Künste Berlin, an der er vier Jahrzehnte lang gelehrt hat, seinen Abschied nehmen. Seine Laufbahn lässt sich als still und hingebungsvoll bezeichnen: er strebte niemals nach öffentlicher Darstellung oder Reputation, sondern konzentrierte sich auf die Themen, die ihn faszinierten, und erwies sich als ein bedingungsloser Förderer der Interessen und Belange seiner Studierenden – mit einer Aufrichtigkeit und Redlichkeit, die ich nirgendwo sonst erlebt habe. Das Erscheinungsbild seiner Webseite sagt mehr über seine Persönlichkeit aus, als ich hier darzustellen in der Lage bin. Ich kann lediglich sagen, dass meine Art zu unterrichten und mein grundsätzlicher Ansatz, Musik aufzufassen und zu verstehen, sich zu wesentlichen Teilen dem Vorbild Stefans verdankt. Und so bin ich dankbar und geehrt, meinen Teil zu der Online-Festschrift zu seinem 65. Geburtstag beitragen zu können: einen analytischen Beitrag über Musik von Amy Beach, der hier abrufbar ist. Vielen herzlichen Dank!

Die Mannigfaltigkeit (der Geschichte) der Musiktheorie

Erst jetzt habe ich Alexander Rehdings Blogpost-Folge »Can the History of Music Theory Be Decentered« in voller Länge zur Kenntnis genommen (originale Fassung hier). Der Text stammt bereits aus dem Jahr 2020, ist aber kürzlich ins Deutsche übersetzt und auf dem Blog musiconn.kontrovers veröffentlicht worden (siehe hier). Die Lektüre hinterlässt mich fasziniert, inspiriert und ein wenig ratlos. Den Kanon ›westlicher‹ Kunstmusik und Musiktheorie zu hinterfragen – was mich bereits seit einiger Zeit umtreibt – ist eine Sache; den nächsten Schritt zu tun, in Aktion zu treten und Curricula und Lehrinhalte zu überdenken stellt weiterhin eine bemerkenswerte Herausforderung für Menschen dar, die durch ein nicht-diverses akademisches Umfeld geprägt sind. Solche Prozesse müssen offensichtlich in den Köpfen beginnen und benötigen einige Zeit, um sich zu materialisieren. Ich bin auf dem Weg.

Das Urheberrecht und das russische Internet

Viele Musiker:innen werden mit gewissen Quellen im russischen Internet vertraut sein, von denen man Partituren oder Fachliteratur herunterladen kann, die bisher nicht gemeinfrei sind. Von Plattformen wie ScorSer, dem Tarakanov-Archiv und ähnlichen Webseiten dürften die meisten Kolleg:innen zumindest gehört haben. Es gibt einen Fall, den ich besonders bemerkenswert finde: die dem Werk Jurij Nikolaevič Cholopovs gewidmete Seite www.kholopov.ru schließt eine elektronische Bibliothek ein, in der Scans etlicher verhältnismäßig aktueller musikwissenschaftlicher und musiktheoretischer Schriften in russischer, englischer und deutscher Sprache erhältlich sind. So werden unter dem Namen eines der prominentesten russischen Musikgelehrten des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl von Urheberrechtsverletzungen verursacht. Dieser Zustand wird sich in absehbarer Zeit kaum ändern, gerade in der aktuellen Situation, aber das bedeutet nicht, dass man sich dieser und ähnlicher Fälle nicht bewusst sein sollte. — NB: Im Jahr 2004 ist in Russland die urheberrechtliche Schutzfrist von 50 auf 70 Jahre post mortem auctoris verlängert worden.

Musizieren allein verbindet nicht

Mein Kommentar über die deutsche Musikverbandslandschaft, berufsständische Interessenvertretung und die Chancen und Schwierigkeiten des Eintretens für die Belange freischaffender Musiker:innen ist im VAN Magazin erschienen. Ich freue mich auf eure Gedanken und Meinungen zu diesem vielschichtigen Gegenstand.

Beachs bezaubernde Ballade

Ich habe einen Aufsatz über ein faszinierendes Werkpaar der amerikanischen Komponistin Amy Beach (1867–1944) vollendet, deren Musik mich in der letzten Zeit beschäftigt hat. Ihre Ballade für Klavier Des-Dur op. 6 aus dem Jahr 1891 basiert auf einem etwas früher entstandenen Lied nach Worten des schottischen Dichters Robert Burns, My luve is like a red, red rose op. 12 Nr. 3. In einer vergleichenden Analyse der beiden Werke untersuche ich deren Form, Harmonik und motivisch-thematische Arbeit und gehe auf die intertextuelle Beziehung zwischen den jeweiligen Klavierparts ein. Der Text wird demnächst online verfügbar sein.