In diesem Semester biete ich an der Technischen Universität Dortmund ein Werkanalyseseminar zu Aleksandr Skrjabins Sonatenkonzepten an. Das behandelte Repertoire wird von den frühen Sonaten der 1880er Jahre bis zum Poème de l’extase op. 54 reichen und schließt sowohl Klavier-Sololiteratur als auch die drei Symphonien und das Klavierkonzert op. 20 ein. Da die Teilnehmerzahl etwas geringer ist als erwartet, kann ich einige Gäste zulassen – lasst es mich gern wissen, falls ihr dazukommen möchtet. Das Seminar findet donnerstags statt, mit alternierenden Präsenz- und Online-Terminen.
Research
Skrjabin-Konferenz in England
Lysenkos sowjetisches Erbe?
Kürzlich stieß ich in den sozialen Medien auf die Behauptung, dass die Nationalhymne der Sowjetunion, komponiert 1943 von Aleksandr Vasil’evič Aleksandrov und seit 2000 mit angepasstem Text als Hymne der russischen Föderation verwendet, durch ein Klavierwerk des ukrainischen Komponisten Mykola Vitalijovyč Lysenko, Fragment épique aus dem Jahr 1876, inspiriert worden sein könnte. Tatsächlich weist der Anfang der Hymne eine deutliche Ähnlichkeit mit einer Passage kurz vor dem Ende von Lysenkos Komposition auf. Handelt es sich hier um ›kreative Aneignung‹, wie diese Quelle nahelegt, oder gar um ein Plagiat (vorausgesetzt, dass Aleksandrov das Klavierstück von Lysenko kannte, was schwer zu beweisen sein dürfte)? Oder liegt nur eine zufällige Übereinstimmung der Melodie und Harmonik vor, die sich der gemeinsamen Bezugnahme beider Beispiele auf das Satzmodell der Romanesca bzw. des Dur-Moll-Parallelismus verdankt? Was meint ihr?
Ein unbequemer Solitär
Einer der streitbarsten Musikwissenschaftler aller Zeiten hat die Bühne verlassen: Vor wenigen Tagen starb Richard Taruskin (1945–2022). Als Musikforscher und ausübender Musiker hat er, wo auch immer er in Erscheinung trat, Kontroversen erzeugt oder befeuert. Sein Verdienst ist es, den Fachdiskurs in einer Weise polarisiert und polisitiert zu haben, dass der Diskurs über (klassische) Musik zu einer öffentlichen Angelegenheit von unangefochtener gesellschaftlicher Relevanz wurde. Insbesondere bei der Erforschung russischer Musik, auf die große Teile seiner produktiven Publikationstätigkeit gerichtet waren, hat er neue Maßstäbe gesetzt; dabei hat er wiederholt Mythen der Musikgeschichtsschreibung entlarvt und verbreitete Forschungsmeinungen revidiert. Mit Sicherheit werden auch diejenigen, die ihm energisch widersprochen haben, bedauern, dass seine Stimme nun verstummt ist. Mein eigener Nachruf ist heute im VAN Magazin erschienen.