<span class="vcard">Wendelin Bitzan</span>
Wendelin Bitzan

Die Untiefen der Funktionstheorie

Es erstaunt mich immer wieder, in welcher Weise die deutsche Funktionstheorie nach wie vor angewendet und gelehrt wird, scheinbar ohne die kritischen Ansätze und Erweiterungen der letzten Jahrzehnte zur Kenntnis zu nehmen. Schaut euch einmal die folgende Passage an, die einem derzeit in Gebrauch befindlichen Harmonielehre-Skript einer deutschen Musikhochschule entstammt. Die Selbstbezogenheit und Dogmatik der propädeutischen Funktionstheorie wird bereits in der Kapitelüberschrift (»Der Subdominantquintsextakkord in Grundstellung«) deutlich. Ich bin gespannt auf eure Meinungen.

»Ebenso wie die Dominante besitzt auch die Subdominantfunktion eine charakteristische Dissonanz. Es ist die Sexte, die uns schon im S6 begegnet ist […], dort allerdings nicht als Dissonanz. […] Die neu hinzutretende Sexte [in Fehldeutung Rameaus als ›sixte ajoutée‹ bezeichnet] verhält sich zum Bass konsonant. Der neue Ton lässt aber die Quinte in Bezug auf ihn selber zur Sekund- bzw. Septimdissonanz werden, welche der korrekten Auflösung bedarf.« (Manfred Dings, Harmonielehre I. Skript zur Übung im Wintersemester 2017/18, Hochschule für Musik Saar 2017, S. 40; vgl. auch: Wilhelm Maler, Beitrag zur Harmonielehre, Leipzig 1931, S. 15).

Chopins Barcarolle

Gerade habe ich die Stichvorlage und den Kritischen Bericht für meine erste wissenschaftliche Notenausgabe abgeschlossen, die im Laufe des nächsten Jahres beim Bärenreiter-Verlag erscheinen wird. Es handelt sich um eines der schönsten Klavierwerke Fryderyk Chopins, die Barcarolle Fis-Dur op. 60 aus dem Jahr 1846. Die Quellenlage ist kompliziert und zum Teil verwirrend: es gibt zwei Autographe, drei parallel veröffentlichte Erstausgaben und zwei von Chopin annotierte Schülerexemplare, die ich auf Abweichungen und mögliche Widersprüche untersucht habe, sowie einige jüngere Druckausgaben. Nun freue ich mich, demnächst den neuen Notensatz Korrektur lesen zu können, zu dem Hardy Rittner die Fingersätze und einen aufführungspraktischen Kommentar beisteuern wird.

Täter im Frack: Tatsächlich?

Ich habe mich kürzlich in eine Facebook-Diskussion mit der VG Musikedition, der Verwertungsgellschaft für das deutsche Musikverlagswesen, involviert. Es ging um deren jüngste Publikation über das Kopieren von Noten, die in weiten Teilen auf einer älteren Broschüre des gleichen Autors Thomas Tietze (»Täter im Frack«) basiert. In einem latent bedrohlichen Tonfall neigt der Text dazu, Musikerinnen und Musiker als »Raubkopierer« zu kriminalisieren und durch Mangel an juristischem Fachwissen bedingtes Verhalten als »illegale Handlung« zu brandmarken. Mittels dieser Publikation und des Hashtags #keinenotenkopieohnelizenz vermittelt die VG Musikedition durchgängig die Auffassung, dass jede Kopie einer Notenausgabe lizenzierungspflichtig sei, ungeachtet des Alters des Urhebers bzw. der Edition. Berücksichtigt man allerdings, dass ein großer Anteil des Musikrepertoires längst gemeinfrei ist, wird dies als propagandistische Desinformationspolitik erkennbar. Mein Austausch mit dem Geschäftsführer Christian Krauß (zumindest glaube ich, dass er mein Dialogpartner gewesen ist) kann in den Screenshots unter diesem Post eingesehen werden.

Das erste Gebot

Dies ist die goldene Grundregel des klassischen Musikjournalismus: Kommentiere niemals und keinesfalls einen Blogpost auf Slipped Disc. Tu es nicht. Denk nicht einmal daran. Lies den Blog und die Kommentare, wenn es unbedingt sein muss, aber erliege nicht der Versuchung, selbst deinen Senf dazuzugeben. Mache es lieber wie Norman, der niemals seine eigenen Beiträge kommentiert (und auch sicherlich nicht auf diesen Post reagieren wird). Folge diesem Rat und halte dich von einem ganzen Haufen Peinlichkeiten fern. Ich danke für deine Aufmerksamkeit!

Neue Erkenntnisse aus München

Ich halte diesen Artikel nicht für ein besonders gelungenes Beispiel journalistischer Arbeit, aber zumindest zeigt er das schier unglaubliche Ausmaß von sexuell anstößigem und missbräuchlichem Verhalten, das aller Wahrscheinlichkeit nach über Jahrzehnte von einigen Professoren der Hochschule für Musik und Theater München an den Tag gelegt worden ist. Auf mich wirkt dieser Vorgang wie ein Scheitern auf allen Ebenen der akademischen Selbstverwaltung – hätte ich das zweifelhafte Vergnügen, an dieser Institution zu arbeiten, würde ich umgehend kündigen. Wenn sich auch nur die Hälfte der besagten Anschuldigungen als zutreffend erweist, sollte die zuständige Landesbehörde einen Untersuchungsausschuss einsetzen und, falls es der Hochschule auch in Zukunft nicht zu verhindern gelingt, dass ihre Studierenden und Mitarbeiter zu Opfern von Sexualstraftaten werden, in letzter Konsequenz deren Schließung erwirken.