Research
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Nachruf für Linda

Mit einer kurzen Notiz möchte ich meiner amerikanischen Kollegin Linda Shaver-Gleason gedenken, die letzte Woche im Alter von 36 Jahren verstorben ist. In ihrer Eigenschaft als öffentliche Musikwissenschaftlerin, wie sie sich selbst bezeichnete, hat sie sich in verschiedenen Bereichen hervorgetan: als Spezialistin für die Rezeptionsgeschichte Mendelssohns, als geschätzte Autorin in Printmedien und Online-Magazinen, und als einflussreiche Bloggerin auf ihrer Webseite Not Another Music History Cliché. Ihre Sprachgewandtheit, ihre Hingabe und ihr Mut werden im Gedächtnis bleiben. Möge sie in Frieden ruhen und ihr Vermächtnis von Dauer sein.

Nikolaj Metner 140

Eigentlich lege ich keinen großen Wert auf Jubiläen, und den bevorstehenden Feierlichkeiten zum Thema BTHVN 2020 sehe ich weitgehend gleichgültig entgegen. Dennoch wäre es wahrscheinlich überraschend, wenn ich ausgerechnet den heutigen Tag unkommentiert verstreichen ließe, an dem sich der Geburtstag Nikolaj Karlovič Metners zum 140. Male jährt. Herzlichen Glückwunsch, mein Wertester! Eure Musik ist mir ein immerwährender Quell der Inspiration und wird mir auch in Zukunft reiche Momente der Leidenschaft, Freude und äußersten Glückseligkeit verschaffen. Ich wage zu hoffen, dass Ihr das folgende Machwerk hättet billigen und zum Zeichen meiner Ehrerbietung nehmen mögen, das ich vor zwei Jahren kreierte und hier nun als posthumes Geburtstagsgeschenk präsentiere – ich entnahm die eingängigsten Weisen aus Eurer C-Dur-Sonate op. 11 Nr. 3, versah sie mit einer englischen Übersetzung der von Euch so geschätzten Lyrik Goethes, die Ihr dem Werk als Motto voranstelltet, und verschmolz diese Zutaten zu einer Jazzballade namens Aussöhnung. Wenn diese Kleinigkeit keinen anderen Zweck erfüllt als der Gemeinde Eurer Bewunderer ein bescheidenes Vergnügen zu bereiten, so werde ich froh und zufrieden sein.

Gedanken zum akademischen Publizieren

Als ein sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich tätiger Mensch empfinde ich keinen derartigen Publikationsdruck, wie ihm jemand in den Geistes- oder Naturwissenschaften ausgesetzt sein mag. Dennoch ist es mir ein Bedürfnis, regelmäßig zur Forschungslandschaft meiner Interessengebiete beizutragen, indem ich für Zeitschriften, Tagungsbände oder monographische Studien schreibe, und auf diese Weise mein publizistisches Profil zu schärfen. Dabei scheint mir ein uneingeschränkter OpenAccess mit Hilfe von CreativeCommons-Lizenzen unter Verzicht auf jegliche Gebühren oder Restriktionen für potentielle Leser_innen der geeignetste Weg der Veröffentlichung zu sein – vor allem deshalb, weil mein Berufsfeld, gemessen an seiner allgemeinen gesellschaftlichen Relevanz, als marginale Disziplin gelten kann. Freie Zugänglichkeit bedeutet mir mehr als Monetarisierung meines Schreibens. In anderen Worten: So, wie sich die akademische Landschaft derzeit darstellt, sehe ich keinen Mehrwert im kommerziellen Publizieren.

Augenscheinlich ist diese Haltung aber einigen Partnern im publizierenden Gewerbe fremd. Obwohl es in Europa und Nordamerika viele überzeugende Beispiele für Gold- und Green-OpenAccess-Strategien gibt, bin ich in der letzten Zeit auf Schwierigkeiten gestoßen, wenn es darum ging, meine Arbeiten nach einer Phase der konventionellen Printpublikation neu zu verwenden oder im Netz zu archivieren. Etwa gibt es Zeitschriften, die grundsätzlich keinen Green-OpenAccess nach einer Sperrfrist gestatten oder die Autor_innen für Veröffentlichungen auf Portalen außerhalb der persönlichen Webseite zur Kasse bitten. Plattformen wie Academia.edu oder ResearchGate erlauben es Forschenden, ihre Arbeitsergebnisse auf nichtkommerzieller Basis bereitzustellen, ohne dass Geld fließt, werden aber trotzdem für ihren vermeintlich profitorientierten Ansatz kritisiert und gegen andere Repositorien ausgespielt – vor allem durch Verlage, die selbst bisher keine tragfähige OpenAccess-Strategie entwickelt haben. Ein zeitgemäßer Umgang mit Urheberrechtsfragen und Nutzungsrechten sollte nicht allein die traditionelle Verlagsperspektive vertreten, sondern die Belange und Interessen der Autor_innen entscheidend berücksichtigen. Lange Rede, kurzer Sinn: Unter der Prämisse, dass ich weder für eine Publikation zahle noch dafür bezahlt werde, gedenke ich meine Texte und Artikel ebenso auf eine Weise zu veröffentlichen, bei der den Leser_innen keine Kosten entstehen, und werde diesen Grundsatz auf meine künftigen Publikationen anzuwenden trachten.

Zehnjähriges Entzücken

Im Herbst 2009 nahm eine Geschichte ihren Anfang, deren Nachwirkungen bis heute anhalten und die mich auch künftig weiter umtreiben wird: Als ich mit der Einstudierung von Nikolai Metners Sonate-Ballade op. 27 begann, war ich sofort gefesselt von der raffinierten Dichte des Klaviersatzes, der Ausgewogenheit der Form und der intellektuellen Tiefe der Musik. Meine nachhaltige Faszination für Metners Kunst wurde durch die Beschäftigung mit diesem Werk ausgelöst und übertrug sich bald auf große Teile seines Schaffens.

Ein Jahrzehnt später, nach zahlreichen Artikeln, Präsentationen und einer Dissertation, fühle ich mich berufen, den ersten Satz dieser anspruchsvollen Komposition erneut als Pianist in Angriff zu nehmen. Mit Spannung und Freude darf ich zwei Anlässe ankündigen, zu denen ich ein Gesprächskonzert über die Sonate-Ballade präsentieren werde: zunächst als Bestandteil eines Hauskonzerts bei meiner geschätzten Kollegin Ekaterine Chvedelidze in Berlin-Prenzlauer Berg, stattfindend (in Übereinstimmung mit der Opuszahl!) am kommenden Freitag, 27. September, ab 19 Uhr – eine Wegbeschreibung gibt es auf Anfrage. Der zweite Auftritt, diesmal in englischer Sprache, folgt am Freitag, 4. Oktober, um 11 Uhr im Kleinen Saal der Musikakademie Odessa, und zwar im Rahmen des Festivals MedtnerFest XXI, an dem teilzunehmen ich die Ehre habe. Wie stets wird es mein größtes Vergnügen sein, meine Bemühungen durch eure geschätzte Gegenwart belohnt zu wissen.

Die Sonate als zeitloses Prinzip

Liebe Menschen, ich freue mich, die Publikation meiner Doktorarbeit bekanntgeben zu können. Ab heute ist sie über das Online-Repositorium musiconn.publish, eine Plattform im Rahmen des Qucosa-Projekts der Sächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, im Open Access verfügbar. Das Dokument kann nach Belieben gelesen, heruntergeladen und weitergegeben werden. Zitation bitte nach folgendem Muster:

Bitzan, Wendelin: The Sonata as an Ageless Principle. Nikolai Medtner’s Early Piano Sonatas: Analytic Studies on their Genesis, Style, and Compositional Technique. PhD-Dissertation: Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 2018. — dx.doi.org/10.25366/2019.15