In einem faszinierenden Longread hat ein*e anonyme*r Dirigent*in seine / ihre Abrechnung mit dem klassischen Musikbetrieb veröffentlicht. Ein Bekenntnis von solch bestechender Aufrichtigkeit und Kühnheit, das die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte schonungslos offenlegt, habe ich aus der Feder eines Insiders noch nicht gelesen. Es handelt sich nicht eigentlich um eine Klage, sondern um eine Analyse des Niedergangs einer ganzen Industrie, wie der Untertitel es treffend bezeichnet, die in meinen Augen von Personen, denen die Zukunft professioneller Musikausübung und die Ausbildung von Musiker*innen am Herzen liegt, unbedingt zur Kenntnis genommen werden sollte. Ich stimme nicht jedem einzelnen Aspekt zu – etwa kann ›Größe‹ nicht als Kriterium für Qualität dienen, ebensowenig wie die zweifelhafte Kategorie des ›Meisterwerks‹ –, doch in ihren wesentlichen Punkten ist die Kritik uneingeschränkt relevant und plausibel. Die / der Autor*in hat überzeugend dargelegt, warum sie / er ihre / seine Identität nicht preisgeben kann (lest dazu bitte auch das Interview). Meinerseits bin ich jedoch bereit, für die Positionen und Schlussfolgerungen des Artikels einzustehen. Das Geschäft mit der klassischen Musik ist zu einer kapitalistischen Farce verkommen. Einige Dinge werden sich maßgeblich verändern müssen.
Musik von Theoretikern
Kennt ihr Musik von Gioseffo Zarlino, Johann Mattheson oder Heinrich Schenker? Durch das Interesse und die Neugierde meiner Studierenden wurde ich veranlasst, jenseits der altbekannten Traktate und Lehrbücher der europäischen Musikgeschichte noch ein wenig weiter zu stöbern, und stellte fest, dass die meisten der Protagonisten auch durchaus beachtenswerte Komponisten waren. Die hier zusammengestellte Playlist Musik von Theoretikern ist, wenn man so will, ein Beiprodukt eines Seminars zur Geschichte der Musiktheorie, das ich im vergangenen Semester an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf geben durfte. Ich bin überzeugt, dass viele dieser Kompositionen es wert sind, aus den Untiefen der Vergessenheit hervorgeholt zu worden, denen sie anheim gefallen sind – und natürlich gibt es noch viel mehr zu entdecken. Einstweilen hoffe ich, dass ihr an der folgenden Auswahl von Preziosen ebenso viel Freude habt wie ich.
Autokratie im DTKV Berlin
In der aktuellen Ausgabe der nmz befindet sich ein Interview mit Detlef Bensmann, dem Vorsitzenden des Deutschen Tonkünstlerverbands Berlin, der die Einigung des Berufsverbandes als sein persönliches Ziel ausgibt. Wie kann es dann sein, dass er die Kommunikation mit kritischen Mitgliedern und die Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen verweigert? Bei der letzten Mitgliederversammlung im Oktober 2019 erhielt ich die meisten Stimmen für die Position des zweiten stellvertretenden Vorsitzenden – aber der Wahlleiter versäumte es, eine Stichwahl durchführen zu lassen. Seitdem lehnt Bensmann die Zusammenarbeit ab, möchte die Vervollständigung der Wahl vermeiden und hindert mich daran, meine Ideen für die Verbandsarbeit in den Vorstand einzubringen. Stattdessen droht er mir mit einem Ausschluss aus dem DTKV. Dies ist die Art und Weise, wie dieser Berufsverband geführt und eine effiziente berufsständische Vertretung der freiberuflichen Musiker_innen in Berlin unmöglich gemacht wird.
Vortrag über Metner in Leipzig
Liebe Menschen, die ihr der russischen Musik zugewandt seid: Dies ist eine Einladung zu meinem bevorstehenden Vortrag am Donnerstag, 30. Januar, 15 Uhr, anlässlich dessen ich mich erstmals in biographische Studien vertiefen werde. Im Rahmen einer Tagung über Emigration von Künstler_innen aus Osteuropa am Zentrum für Musikwissenschaft der Universität Leipzig werde ich ein englischsprachiges Paper mit dem Titel »Decision, Hope, and Resignation« präsentieren, das den Aufenthalt Nikolaj Metners in Berlin (1921–1924) und die damit verknüpften persönlichen und künstlerischen Entwicklungen zum Gegenstand hat. Der Eintritt ist frei, und auch das übrige Tagungsprogramm, das Aspekte der Emigrant_innenkultur aus Polen, Litauen, Slowenien und Ungarn abdeckt, ist vielversprechend. — Das vollständige Programm ist hier einsehbar.
Nachruf für Linda
Mit einer kurzen Notiz möchte ich meiner amerikanischen Kollegin Linda Shaver-Gleason gedenken, die letzte Woche im Alter von 36 Jahren verstorben ist. In ihrer Eigenschaft als öffentliche Musikwissenschaftlerin, wie sie sich selbst bezeichnete, hat sie sich in verschiedenen Bereichen hervorgetan: als Spezialistin für die Rezeptionsgeschichte Mendelssohns, als geschätzte Autorin in Printmedien und Online-Magazinen, und als einflussreiche Bloggerin auf ihrer Webseite Not Another Music History Cliché. Ihre Sprachgewandtheit, ihre Hingabe und ihr Mut werden im Gedächtnis bleiben. Möge sie in Frieden ruhen und ihr Vermächtnis von Dauer sein.