Wendelin Bitzan

Wendelin Bitzan

Schwache Lobby für Freiberufler_innen

Es erstaunt und bestürzt mich, wie das freiberufliche Musikertum in zwei Artikeln aus der aktuellen neuen musikzeitung schlechtgeredet wird. In seinem Leitartikel berichtet der Herausgeber Theo Geißler von dem unlängst in Berlin stattgefundenen Kongress des Verbands deutscher Musikschulen und lässt es sich nicht nehmen, eine Gruppe von Demonstranten aus dem DTKV Sachsen zu schmähen, die am Rande der Veranstaltung für fairere Arbeitsbedingungen und mehr öffentliche Förderung protestiert hatten. Geißler greift die Basis des Protests scharf an und beschuldigt die Kolleg_innen, unter einer selbstgewählten Misere zu leiden – eine weltfremde und geradezu unverschämte Behauptung. In einem weiteren Artikel veröffentlicht die VdM-Führung eine ablehnende Stellungnahme zu einer Initiative des TKV Baden-Württemberg, in der Wettbewerbsverzerrung und Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und selbständig Beschäftigten angeprangert wurde. Es ist schwer verständlich, wie man sich als musikpädagogischer Interessenverband gegen die berechtigte Forderung nach einer ausgewogenen öffentlichen Förderung beider Gruppen wehren kann.

Die geschilderten Positionen konstruieren einen künstlichen Widerstreit zwischen Musikunterricht in öffentlicher Trägerschaft und Angeboten privater Institutionen. Dabei missachten sie den Umstand, dass die beiden ›Parteien‹ zumeist mit fast identischem Lehrpersonal operieren und bei gleicher Qualifikation nahezu gleiche Leistungen anbieten. Die beiden Sektoren müssen als eine funktionale Einheit und nicht als Konkurrenten gedacht werden. In den Berliner öffentlichen Musikschulen arbeiten noch immer mehr als 80% der Instrumental- und Gesangslehrer_innen unfreiwillig als Selbständige. Diese beträchtliche Gruppe muss sich in den genannten Artikeln als »Privatunternehmer« mit Gewinnerzielungsabsicht verunglimpfen lassen – eine völlig irrsinnige und beleidigende Bezeichnung für Menschen, die zumeist am Existenzminimum wirtschaften. Es ist beschämend, dass beherzte Initiativen im Sinne der Anliegen einer großen Mehrheit der Musizierenden und Unterrichtenden keinerlei Unterstützung durch diejenigen Personen und Organisationen erfahren, die eigentlich ihre Verbündeten sein sollten. Einmal mehr formieren sich der VdM und der Bundesverband des DTKV zu einer kontraproduktiven Opposition gegen ihre freiberuflich tätigen Kolleg_innen, und es ist schwer vorstellbar, wie angesichts dieser lähmenden Auseinandersetzungen noch erfolgreiche berufsständische Arbeit stattfinden soll.

Zum Gebrauch des eigenen Doktorgrads

Teil 1: Schriftliche Korrespondenz
(1) Präsentiere deinen Doktorgrad nach Belieben in deiner Mailsignatur, im Briefkopf oder im Adressstempel.
(2) Nenne deinen Doktorgrad gern im Anzeigenamen deines Mailausgangsservers, wenn du dies wirklich für notwendig hältst.
(3) Verzichte darauf, deinen Doktorgrad oder eine Kurzform desselben in deine Mailadresse zu integrieren (wie etwa: philip.dee.phd@ac.edu or dr.donald.rump@cumbridge.pov.jiz). Wenn irgend möglich, vermeide es, ihn mit der Hand auf Briefumschläge zu schreiben.
(4) Unterzeichne unter keinen Umständen deine Korrespondenz mit dem Doktorgrad vor oder nach deinem Namen, unabhängig von der gewählten Grußformel. Deine Partner_innen im Schriftverkehr werden es zu schätzen wissen. Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.

Teil 2: Mündliche Konversation
(1) Stelle dich niemals mit deinem Doktorgrad vor. (Nun, dies sollte selbstverständlich sein.)
(2) Erwarte nicht von anderen Personen, dass sie dich im Gespräch mit deinem Doktorgrad anreden.
(3) Erwähne deinen Doktorgrad nicht in außerakademischen Konversationen, wenn du nicht gerade von einer Behörde, Elsa von Brabant oder Meister Yoda (»Bescheiden sein du musst!«) danach gefragt wirst.

Musik aus Stettin

Herzliche Grüße aus Stettin, wo ich heute ein famoses Symphoniekonzert in der gerade fünf Jahre alten Mieczysław-Karłowicz-Philharmonie erleben durfte. Dieser Ort ist ein akustischer und architektonischer Hochgenuss, und es ist mir fast unangenehm zu gestehen, dass ich zuvor niemals von ihm gehört habe. Soweit ich sehe (und es sich dabei nicht um meine eigene Ignoranz handelt), scheint die deutsche Fachpresse die Einweihung dieses Konzertsaals im Jahr 2014 nicht angemessen gewürdigt oder sie aufgrund der medienwirksamen Eröffnungen der Elbphilharmonie Hamburg und des Pierre Boulez Saals verdrängt zu haben. Liebe Berliner: Warum erwägt ihr nicht eine Tagesreise, um dieses nur 150 Kilometer entfernte Juwel kennenzulernen? Man bietet dort einen vielseitigen Konzertkalender mit durchdachten und niedrigschwelligen Musikvermittlungsangeboten, und Rune Bergmann tritt als ein inspirierender Chefdirigent in Erscheinung. Am besten gefällt mir jedoch der Umstand, dass dank einer Kooperation mit Stettiner Musikschulen während der Konzertpausen Schülerinnen und Schüler im oberen Foyer auftreten und die Gelegenheit erhalten, sich mit kurzen Stücken einem wohlwollenden und zahlreichen Publikum zu präsentieren – eine höchst gelungene Synergie aus Kulturpolitik und musikpädagogischer Initiative.

Eine Elfenbeinturmtagung in Freiburg

Es ist Zeit für einen kurzen Rückblick auf eine schöne Reise ins Breisgau, wo ich vom 10. bis 12. April 2019 am ersten Kongress des kürzlich gegründeten Forschungs- und Lehrzentrums Musik teilgenommen habe. Die Tagung fand in der Musikhochschule Freiburg statt und wurde gemeinsam mit der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg durchgeführt. Der Titel »Zwischen Elfenbeinturm und Employability« ließ einen Themenschwerpunkt auf den Karriereaussichten für Musiker_innen vermuten; die Veranstaltung erwies sich jedoch eher als Selbstpräsentation der interdisziplinären Arbeit an den beiden beteiligten Institutionen. Dies stellte einen Wert für sich dar, und ich war höchst beeindruckt von verschiedenen Vorträgen, Darbietungen und Unterrichtsdemonstrationen – allerdings wurden auch die begrenzte Perspektive und der Mangel an Impulsen von außerhalb deutlich. In meinen Augen leidet die derzeitige Situation der professionellen Musikausbildung in Deutschland an zwei gravierenden Fehlentwicklungen: (1) die extreme Schwierigkeit, von einem Anstellungsverhältnis oder einer freiberuflichen Tätigkeit als Musiker_in leben zu können, die zum Teil durch die Unfähigkeit (oder den Unwillen) der Musikhochschulen, ihre Absolventen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, verursacht wird; und (2) sinkendes Ausbildungsniveau und stetig schwindende Aussichten für den einheimischen Nachwuchs, woraus ein mittlerweile absurd hoher Anteil ausländischer Studierender resultiert. Keines dieser Probleme wurde bei dem Freiburger Kongress thematisiert. Die nächste Veranstaltung dieser Art wird nicht ohne einen offenen Call for Contributions auskommen können, und ihr Themenspektrum sollte auch die Erforschung und Diskussion von Karrierewegen vor und nach der Hochschulausbildung einschließen.

Sei mein Genie!

Ich habe einige Zeilen über die fragwürdige Neigung im Musikjournalismus, Interpreten als ›Genies‹ und Dirigenten als ›Maestri‹ zu bezeichnen, verfasst. Nicht dass mich jemand nach meiner Meinung gefragt hätte, und es könnte sein, dass manche von euch diese Diskussion unerheblich finden – aber genau das hat mich bewogen, mein Unbehagen über diese Sachverhalte zum Ausdruck zu bringen. Der Text ist im VAN Magazin erschienen. Ich begrüße eure Gedanken und Kommentare dazu.