Teaching
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Die Natur der musikalischen Analyse

Manche Menschen glauben, Musik zu analysieren bedeute, harmonische Kürzel unter eine Basslinie zu setzen, ein Formdiagramm zu erstellen, motivische Beziehungen an unterschiedlichen Stellen zu vergleichen oder die Instrumentation eines Stücks zu untersuchen. Alle diese Strategien können als Mittel der Analyse eingesetzt werden – gleichwohl ist keine davon geeignet, das Wesen der Musik im Ganzen zu erfassen. Solange man ein Stück für sich allein betrachtet, ohne seine mannigfachen historischen, sozialen und ästhetischen Kontexte einzubeziehen, wird seine Untersuchung unvollständig bleiben.

Musikalische Analyse als vielgestaltige Aktivität mit künstlerischen, performativen und wissenschaftlichen Anteilen kann unmöglich ohne eingehende Kenntnisse des Repertoires betrieben werden. Von maßgeblicher Bedeutung, um zu wesentlichen Befunde zu gelangen, ist die Fähigkeit, ein Stück im Hinblick auf die Zeit und den Ort seiner Entstehung, die Lebenssituation seiner*seines Urheber*in und andere Musik, die in seinem Umfeld komponiert worden ist, betrachten zu können. Zentrale Fragen sind: Was lässt dieses bestimmte Kunstwerk im Vergleich zu anderen als einzigartig erscheinen, was macht seine Besonderheiten aus? Wann immer wir uns notierter oder erklingender Musik mit einer analytischen Absicht nähern, ist es notwendig, deren übergeordnete Kontexte und Bedeutungen zu berücksichtigen. Analyse ist Forschung.

»Die Partitur ist nicht die Musik selbst, ebenso wie ein Rezept noch keine Mahlzeit macht.«

Einblicke in chinesische Musiktheorie

Beim letzten Termin meines Seminars zur Geschichte der Musiktheorie an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf haben zwei asiatische Studierende ein kurzes Panoptikum chinesischer Theoriebildung vorgestellt. Einer von ihren gab einen Überblick über Ideen und Schriften des Universalgelehrten Zhu Zaiyu, der während der Zeit der Ming-Dynastie lebte und einen Ansatz entwickelte, um die Stufen der gleichschwebenden Stimmung genauer als jemals zuvor zu berechnen. Das andere Referat konzentrierte sich auf die Struktur traditioneller chinesischer Modi und die Übernahme einer Ziffernnotation, die auf das französische Galin-Paris-Chevé-System zurückgeht und als Alternative zur Solmisation verwendet wird. Ein Glücksfall, wenn man als Dozent die Gelegenheit erhält, signifikantes neues Wissen aus der eigenen Lehrtätigkeit gewinnen zu können!

Skrjabin und die Sonate(nform)

In diesem Semester biete ich an der Technischen Universität Dortmund ein Werkanalyseseminar zu Aleksandr Skrjabins Sonatenkonzepten an. Das behandelte Repertoire wird von den frühen Sonaten der 1880er Jahre bis zum Poème de l’extase op. 54 reichen und schließt sowohl Klavier-Sololiteratur als auch die drei Symphonien und das Klavierkonzert op. 20 ein. Da die Teilnehmerzahl etwas geringer ist als erwartet, kann ich einige Gäste zulassen – lasst es mich gern wissen, falls ihr dazukommen möchtet. Das Seminar findet donnerstags statt, mit alternierenden Präsenz- und Online-Terminen.

Lehrtätigkeit in Dortmund

Mit großer Freude darf ich bekanntgeben, dass ich ab der nächsten Woche als Vertretungsprofessor für Musiktheorie am Institut für Musik und Musikwissenschaft der Technischen Universität Dortmund tätig sein werde. Ich bin gespannt auf diese neue Herausforderung und die Zusammenarbeit mit einem vielseitigen und produktiven Team aus Lehrenden und Forschenden am Institut. Vor allem bin ich froh darüber, mich in den Lehramtsstudiengängen engagieren zu können, da ich das Berufsfeld zukünftiger Musiklehrer:innen als den gesellschaftlich relevantesten Bereich der akademischen Musikausbildung ansehe.

Komponieren im Elfenbeinturm

In einem kürzlich erschienenen Interview in der neuen musikzeitung bekennt Claus-Steffen Mahnkopf, ein produktiver Komponist und seit fast 20 Jahren Professor an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, dass er nicht weiß, warum sich an Musikhochschulen in Deutschland so wenige einheimische Kandidat:innen für ein Kompositionsstudium bewerben. Anschließend beklagt er ausführlich, dass seine Stücke und Werkkonzeptionen, die er routinemäßig als Aufführungsvorschläge an Orchester und Opernhäuser versendet, fast jedes Mal abgelehnt werden. Ernsthaft, Herr Mahnkopf? Ich frage mich, wie jemand, der seit Jahrzehnten in die Ausbildung von Komponist:innen involviert ist, so ahnungslos sein kann, was die Defizite in der vorhochschulischen Qualifikation und die massiv angestiegenen Schwierigkeiten der Bewerber:innen, die Anforderungen an die Aufnahme eines Musikstudiums zu erfüllen, betrifft. Neben diesem besorgniserregenden Mangel an Anteilnahme fällt auf, dass weder Mahnkopf noch sein Gesprächspartner die offensichtliche Verbundenheit der beiden angesprochenen Missstände bemerken: die Nichtexistenz eines nachhaltigen und integrativen Förderungssystems zur Unterstützung junger Menschen auf dem Weg zu einer Musikerkarriere, und die fast flächendeckende Entfremdung des klassischen Musikbetriebs von allen aktuellen und zeitgenössischen Entwicklungen. Sollte ein Kompositionsprofessor nicht um die Zukunft seines Metiers besorgt sein und sich für mögliche Strategien interessieren, wie Jugendliche an das Komponieren und Aufführen neuer Musik herangeführt werden können? An nahezu jedem Satz Mahnkopfs wird deutlich, dass da jemand spricht, der den Kontakt zu den Grundlagen musikalischer Nachwuchsförderung längst verloren hat. #elfenbeinturm