Erst jetzt habe ich Alexander Rehdings Blogpost-Folge »Can the History of Music Theory Be Decentered« in voller Länge zur Kenntnis genommen (originale Fassung hier). Der Text stammt bereits aus dem Jahr 2020, ist aber kürzlich ins Deutsche übersetzt und auf dem Blog musiconn.kontrovers veröffentlicht worden (siehe hier). Die Lektüre hinterlässt mich fasziniert, inspiriert und ein wenig ratlos. Den Kanon ›westlicher‹ Kunstmusik und Musiktheorie zu hinterfragen – was mich bereits seit einiger Zeit umtreibt – ist eine Sache; den nächsten Schritt zu tun, in Aktion zu treten und Curricula und Lehrinhalte zu überdenken stellt weiterhin eine bemerkenswerte Herausforderung für Menschen dar, die durch ein nicht-diverses akademisches Umfeld geprägt sind. Solche Prozesse müssen offensichtlich in den Köpfen beginnen und benötigen einige Zeit, um sich zu materialisieren. Ich bin auf dem Weg.
Research
Das Urheberrecht und das russische Internet
Viele Musiker:innen werden mit gewissen Quellen im russischen Internet vertraut sein, von denen man Partituren oder Fachliteratur herunterladen kann, die bisher nicht gemeinfrei sind. Von Plattformen wie ScorSer, dem Tarakanov-Archiv und ähnlichen Webseiten dürften die meisten Kolleg:innen zumindest gehört haben. Es gibt einen Fall, den ich besonders bemerkenswert finde: die dem Werk Jurij Nikolaevič Cholopovs gewidmete Seite www.kholopov.ru schließt eine elektronische Bibliothek ein, in der Scans etlicher verhältnismäßig aktueller musikwissenschaftlicher und musiktheoretischer Schriften in russischer, englischer und deutscher Sprache erhältlich sind. So werden unter dem Namen eines der prominentesten russischen Musikgelehrten des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl von Urheberrechtsverletzungen verursacht. Dieser Zustand wird sich in absehbarer Zeit kaum ändern, gerade in der aktuellen Situation, aber das bedeutet nicht, dass man sich dieser und ähnlicher Fälle nicht bewusst sein sollte. — NB: Im Jahr 2004 ist in Russland die urheberrechtliche Schutzfrist von 50 auf 70 Jahre post mortem auctoris verlängert worden.
Musizieren allein verbindet nicht
Mein Kommentar über die deutsche Musikverbandslandschaft, berufsständische Interessenvertretung und die Chancen und Schwierigkeiten des Eintretens für die Belange freischaffender Musiker:innen ist im VAN Magazin erschienen. Ich freue mich auf eure Gedanken und Meinungen zu diesem vielschichtigen Gegenstand.
Beachs bezaubernde Ballade
Skrjabin wird 150
Dies ist ein leicht verspäteter Geburtstagsbeitrag für Aleksandr Skrjabin, der meine Dankbarkeit für alle jene faszinierenden Erfahrungen mit seiner Musik zum Ausdruck bringen möge, ebenso wie die gespannte Erwartung meiner Teilnahme an der diesjährigen Konferenz zum 150jährigen Jubiläum im englischen Reading. Weitere Informationen folgen – einstweilen ist hier Konstantin Balmonts Gedicht Zvukovoj zazyv (Tonruf) aus dem Jahr 1925:
Er fühlte die Welt durch Symphonien des Lichtes.
Er rief dazu auf, zu einem schwimmenden Tempel zu verschmelzen –
Berührungen, Klänge, Weihrauch
Und Prozessionen, deren Anzeichen Tänze sind,
Den ganzen Sonnenschein, das Feuer der Blumen und des Sommers,
Die Wahrsagung nach Mond und Sternen,
Die Donner hier, und das kleine Geflüster dort,
Das Necken des musikalischen Sonnenaufgangs.
Das ist wie beim Träumen auf der Erde im Himmel aufzuwachen.
Die Wirbelstürme der Funken im durchstoßenen Dunst verbreitend,
Im Opferfeuer war er unermüdlich.
Und so tanzte er in einem feurigen Schlot,
Bis er zum Tod erwachte mit Glitzer auf der Stirn.
Der wahnsinnige Elf, der Aufruf, der klirrende Skrjabin.
[Deutsche Übersetzung: Elena Chernova]