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Musikstudium ›zweiter Klasse‹

Die derzeitige Artikelreihe im VAN Magazin über die Zukunft des Musikstudiums in Deutschland erreicht durch den zuletzt veröffentlichten Text eine neue Ebene. In ihrem Folgeartikel zu den Beiträgen von Clemens Thomas, Heinz Geuen, Esther Bishop und mir steuert Judith Gerhardt nun die Perspektive einer Instrumentalpädagogik-Studierenden der Universität der Künste Berlin bei und konzentriert sich auf das unfaire Missverhältnis zwischen Solistenausbildung (die an den Institutionen eine deutlich stärkere Förderung und Außenwirkung genießt) und Musikpädagogik (ein Studiengang, der häufig als untergeordnet und weniger repräsentativ begriffen wird, ungeachtet seiner deutlich höheren sozialen und politischen Relevanz). Einmal mehr wird deutlich, dass ein Paradigmenwechsel überfällig und unausweichlich ist – und nachdem Studierende und Musiker_innen wiederholt ihren Unmut mit dem bestehenden System zum Ausdruck gebracht haben, ist es nun an der Zeit, dass Hochschulleitungen und Bildungspolitik klar Position beziehen und zu erörtern beginnen, auf welche Weise die professionelle Musikausbildung reformiert und neu organisiert werden kann.

Der Gipfel sexistischer Musikpublizistik

Erst kürzlich bin ich auf einen Text von Damian Thompson aus dem Jahr 2015 gestoßen, der von der Voraussetzung ausgeht, Frauen könnten grundsätzlich weniger gut komponieren als Männer. Es fällt schwer zu glauben, dass es sich bei dem Artikel tatsächlich um das beleidigende, eklatant misogyne Geschwafel handelt, das er zu sein scheint; hat sich irgendwo eine Ironie versteckt, die ich nicht verstanden habe? Ich tendiere zu der ersteren Annahme. Das einzig Gute an diesem musikjournalistischen Totalausfall ist, dass der Autor sich umgehend als ignoranter Vollpfosten entlarvt, dessen Sermon zweifelsfrei offenbart, dass er nicht die leiseste Ahnung hat, was Etikettierungen wie ›gut‹ oder ›schlecht gemacht‹ in einem musikalischen Kontext überhaupt bedeuten können. Zudem besitzt er weder die intellektuelle Kapazität, darüber zu urteilen, ob und unter welchen Umständen Urteile wie ›großartig‹, ›genial‹ oder ›erstklassig‹ (meine Übersetzungen) überhaupt in akzeptabler Weise für Musik verwendet werden können, noch ist er sich der mangelnden Aussagekraft seines antiquierten Vokabulars bewusst. Überdies präsentiert er kein einziges Argument, das seine prahlerische Eingangsthese (»Es gibt keine guten Komponistinnen«) stützen könnte. Selbst dann, wenn offener Sexismus in einer solch erbärmlichen Form daherkommt, so glaube ich doch nicht, dass der Urheber einfach als Troll abgetan und ignoriert werden sollte, sondern dass Widerspruch notwendig ist – und obwohl der Text bereits drei Jahre alt ist, so möchte ich doch dazu beitragen, dass der Name des Autors künftig stets mit diesem atemberaubenden Bockmist in Verbindung gebracht werde.

Diss-Dur

300 Seiten. 156000 Wörter. 982000 Zeichen. 710 Fußnoten. Rund 300 zitierte Quellen. 128 Notenbeispiele. Etwa 6 Jahre Arbeit. — Dies ist meine musikwissenschaftliche Doktorarbeit, betitelt »The Sonata as an Ageless Principle«, die ich heute an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien eingereicht habe. Es handelt sich um eine gattungshistorisch-analytische Studie zu den frühen Klaviersonaten Nikolaj Metners, die ich als Ausprägungen eines traditionellen Paradigmas der Instrumentalmusik und aus verschiedenen analytischen Perspektiven untersucht habe. Diejenigen von euch, die sich für den Volltext interessieren, werde ich gern über die bevorstehende Open-Access-Publikation auf dem Laufenden halten. Einstweilen sind hier ein Abstract der Arbeit und ein vorab veröffentlichtes Kapitel über die Charakteristika von Metners Tonsprache zu finden.

Zur Person: NJ

Sehr verehrte Dramen und Zerren, ich möchte euch einen der größten Heuchler im deutschen Musikbetrieb vorstellen: Enjott Schneider. Als erfolg- und einflussreicher, mit allen berufsständischen und akademischen Weihen dekorierter Vertreter der Filmmusikbranche sowie als Präsident des Deutschen Komponistenverbands lässt dieser Mensch keine Gelegenheit aus, das System, das ihn ernährt und seine Machtposition ermöglicht hat, zu verunglimpfen. Hier folgen einige Belege seiner eklatanten Doppelmoral:

(1) In einer Online-Diskussion über Sinn und Unsinn des Begriffs ›Maestro‹ äußert er sich in spottender und herablassender Weise über das deutsche Klassik-Publikum, dem er pauschal Eitelkeit und Oberflächlichkeit unterstellt: »Der Konzertbesucher ist selten ein mündiger Bürger: so simpel gestrickt wie die Boris-Becker-Fans. […] Man will den Star, an den man seine Sehnsüchte und Frustrationen delegieren kann. […] Die wollen den Masochismus der ewig gestrigen Unterdrücktheit.« (orthographische Fehler von mir korrigiert)
(2) In einem Interview in der aktuellen nmz lobt er in euphorischen Tönen die chinesische Regierung für ihre Kulturpolitik, vor allem aber für das Sponsoring seines gigantischen letzten Opernprojekts, bei dem paradiesische Produktionsbedingungen herrschten. Gleichzeitig schmäht er erneut die europäische Musikszene für ihren kurzlebigen Kapitalismus: Angeblich »ordnet sich alles dem Kapital und ökonomischen Prinzipien unter«, vorherrschend sei »der Hyperindividualismus des Egos«, und »›Kunstfreiheit‹ ist längst zur Augenwischerei geworden«.

Dazu fällt mir nur ein: Enjott, hör auf, dich über das System zu beklagen. Du bist einer von dessen mächtigsten Akteuren, also fang doch mal damit an, Missstände zu verbessern, wenn du tatsächlich etwas verändern willst. Wenn nicht, dann genieße bitte einfach deinen Reichtum und verschone die Öffentlichkeit mit solchem Geschwätz.

Das Elend der Musikhochschulen

Wie kann die Beschäftigungsfähigkeit für Absolventen künstlerischer Musikstudiengänge wiederhergestellt werden? Ich prangere diese Problematik schon seit einiger Zeit an. Nun findet hier jemand die richtigen Worte, um den absurden und bedauernswerten Zustand der professionellen Musikausbildung in Deutschland zu charakterisieren. Bitte lest und verbreitet dieses bemerkenswerte Interview mit Esther Bishop im VAN Magazin, geführt von Sophie Wasserscheid. Es wird Zeit für einen Paradigmenwechsel, um das gegenwärtige, von Dysfunktionalität, Selbstbezogenheit und Fehladministration gekennzeichnete System zu modernisieren und seine Curricula von Grund auf neu zu denken. Doch kluge Worte allein werden nicht viel bewirken – und ich bin sehr skeptisch, ob es den Musikhochschulen möglich ist, aus sich selbst heraus Reformen zu initiieren und durchzuführen.