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Diss-Dur

300 Seiten. 156000 Wörter. 982000 Zeichen. 710 Fußnoten. Rund 300 zitierte Quellen. 128 Notenbeispiele. Etwa 6 Jahre Arbeit. — Dies ist meine musikwissenschaftliche Doktorarbeit, betitelt »The Sonata as an Ageless Principle«, die ich heute an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien eingereicht habe. Es handelt sich um eine gattungshistorisch-analytische Studie zu den frühen Klaviersonaten Nikolaj Metners, die ich als Ausprägungen eines traditionellen Paradigmas der Instrumentalmusik und aus verschiedenen analytischen Perspektiven untersucht habe. Diejenigen von euch, die sich für den Volltext interessieren, werde ich gern über die bevorstehende Open-Access-Publikation auf dem Laufenden halten. Einstweilen sind hier ein Abstract der Arbeit und ein vorab veröffentlichtes Kapitel über die Charakteristika von Metners Tonsprache zu finden.

Zur Person: NJ

Sehr verehrte Dramen und Zerren, ich möchte euch einen der größten Heuchler im deutschen Musikbetrieb vorstellen: Enjott Schneider. Als erfolg- und einflussreicher, mit allen berufsständischen und akademischen Weihen dekorierter Vertreter der Filmmusikbranche sowie als Präsident des Deutschen Komponistenverbands lässt dieser Mensch keine Gelegenheit aus, das System, das ihn ernährt und seine Machtposition ermöglicht hat, zu verunglimpfen. Hier folgen einige Belege seiner eklatanten Doppelmoral:

(1) In einer Online-Diskussion über Sinn und Unsinn des Begriffs ›Maestro‹ äußert er sich in spottender und herablassender Weise über das deutsche Klassik-Publikum, dem er pauschal Eitelkeit und Oberflächlichkeit unterstellt: »Der Konzertbesucher ist selten ein mündiger Bürger: so simpel gestrickt wie die Boris-Becker-Fans. […] Man will den Star, an den man seine Sehnsüchte und Frustrationen delegieren kann. […] Die wollen den Masochismus der ewig gestrigen Unterdrücktheit.« (orthographische Fehler von mir korrigiert)
(2) In einem Interview in der aktuellen nmz lobt er in euphorischen Tönen die chinesische Regierung für ihre Kulturpolitik, vor allem aber für das Sponsoring seines gigantischen letzten Opernprojekts, bei dem paradiesische Produktionsbedingungen herrschten. Gleichzeitig schmäht er erneut die europäische Musikszene für ihren kurzlebigen Kapitalismus: Angeblich »ordnet sich alles dem Kapital und ökonomischen Prinzipien unter«, vorherrschend sei »der Hyperindividualismus des Egos«, und »›Kunstfreiheit‹ ist längst zur Augenwischerei geworden«.

Dazu fällt mir nur ein: Enjott, hör auf, dich über das System zu beklagen. Du bist einer von dessen mächtigsten Akteuren, also fang doch mal damit an, Missstände zu verbessern, wenn du tatsächlich etwas verändern willst. Wenn nicht, dann genieße bitte einfach deinen Reichtum und verschone die Öffentlichkeit mit solchem Geschwätz.

Das Elend der Musikhochschulen

Wie kann die Beschäftigungsfähigkeit für Absolventen künstlerischer Musikstudiengänge wiederhergestellt werden? Ich prangere diese Problematik schon seit einiger Zeit an. Nun findet hier jemand die richtigen Worte, um den absurden und bedauernswerten Zustand der professionellen Musikausbildung in Deutschland zu charakterisieren. Bitte lest und verbreitet dieses bemerkenswerte Interview mit Esther Bishop im VAN Magazin, geführt von Sophie Wasserscheid. Es wird Zeit für einen Paradigmenwechsel, um das gegenwärtige, von Dysfunktionalität, Selbstbezogenheit und Fehladministration gekennzeichnete System zu modernisieren und seine Curricula von Grund auf neu zu denken. Doch kluge Worte allein werden nicht viel bewirken – und ich bin sehr skeptisch, ob es den Musikhochschulen möglich ist, aus sich selbst heraus Reformen zu initiieren und durchzuführen.

Abschied vom Lehrauftrag

Heute habe ich meine letzten beiden Unterrichtsstunden als Lehrbeauftragter der Humboldt-Universität zu Berlin erteilt und damit ein Kapitel meiner beruflichen Laufbahn abgeschlossen. Trotz des bestürzend geringen Einkommens, das eine freiberufliche Tätigkeit in der musiktheoretischen Nebenfachlehre abwirft, war es ein Vergnügen, meine größtenteils höchst engagierten und klug kommunizierenden Studierenden bei der Entwicklung ihrer musikalischen Lese- und Hörfähigkeit zu unterstützen. Dennoch bin ich froh, niemals wieder als akademische Honorarkraft arbeiten zu müssen. Das Konzept Lehrauftrag ist eines der verkommensten und ausbeuterischsten Produkte des deutschen Universitätsbetriebs, und auch wenn die Stundensätze der Berliner Hochschulen in naher Zukunft auf ein Minimum von 35 € steigen werden, besteht wenig Grund zu der Annahme, dass die Arbeitsbedingungen für das freiberufliche akademische Personal sich maßgeblich verbessern werden.

Die Untiefen der Funktionstheorie

Es erstaunt mich immer wieder, in welcher Weise die deutsche Funktionstheorie nach wie vor angewendet und gelehrt wird, scheinbar ohne die kritischen Ansätze und Erweiterungen der letzten Jahrzehnte zur Kenntnis zu nehmen. Schaut euch einmal die folgende Passage an, die einem derzeit in Gebrauch befindlichen Harmonielehre-Skript einer deutschen Musikhochschule entstammt. Die Selbstbezogenheit und Dogmatik der propädeutischen Funktionstheorie wird bereits in der Kapitelüberschrift (»Der Subdominantquintsextakkord in Grundstellung«) deutlich. Ich bin gespannt auf eure Meinungen.

»Ebenso wie die Dominante besitzt auch die Subdominantfunktion eine charakteristische Dissonanz. Es ist die Sexte, die uns schon im S6 begegnet ist […], dort allerdings nicht als Dissonanz. […] Die neu hinzutretende Sexte [in Fehldeutung Rameaus als ›sixte ajoutée‹ bezeichnet] verhält sich zum Bass konsonant. Der neue Ton lässt aber die Quinte in Bezug auf ihn selber zur Sekund- bzw. Septimdissonanz werden, welche der korrekten Auflösung bedarf.« (Manfred Dings, Harmonielehre I. Skript zur Übung im Wintersemester 2017/18, Hochschule für Musik Saar 2017, S. 40; vgl. auch: Wilhelm Maler, Beitrag zur Harmonielehre, Leipzig 1931, S. 15).