General
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Gesamte Gesangsgesandte

Nach einem Jahr der Entbehrung jeglicher Sangesaktivität habe ich endlich einen neuen Chor gefunden. Das Vokalsystem Berlin, ein aufstrebendes und leistungsstarkes junges Ensemble unter der Leitung meines lieben Kollegen Johannes David Wolff, hat mich als neues Mitglied aufgenommen und verschafft mir die reizvolle Aussicht, demnächst an Auführungen mit Musik von Maurice Duruflé, Anders Edenroth, Eric Whitacre, Ola Gjeilo und Yannick Wittmann mitwirken zu dürfen. Bleibt zu hoffen, dass alles so stattfinden kann wie geplant.

Vorstandsamt bei der GMTH

Gestern wurde ich zum Beisitzer im Vorstand der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH), dem Berufsverband der deutschsprachigen Musiktheorie, gewählt. Meine Arbeitsgebiete sind die Interessenvertretung der Lehrbeauftragten in den Fächern Musiktheorie und Gehörbildung sowie die Unterstützung der internationalen Aktivitäten der Gesellschaft. Wenn ihr euch zu einem dieser Themen äußern oder einbringen möchtet, zögert nicht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit meinen Vorstandskolleg_innen Florian Edler, Sigrun Heinzelmann, Thomas Wozonig, Julia Deppert-Lang, Hans Aerts und Derek Remeš im Laufe der nächsten zwei Jahre.

Mannigfaltigkeit der Stimmen

Es hat mich immer fasziniert, dass bei Sänger_innen kein direkter Zusammenhang zwischen der äußeren Erscheinung, der geschlechtlichen Identität der Person und jener der Bühnenrolle, dem Stimmfach und dem Stimmambitus besteht. Ist es nicht wunderbar, dass die Nuancen der menschlichen Stimme ebenso vielfältig sind wie die Möglichkeiten der persönlichen Geschlechtswahrnehmung, des Alters und der ethnischen Zugehörigkeit? In diesem transzendenten Kontinuum vokaler Funktionalität ist alles möglich. Ich denke, dass die schiere Schönheit einer Stimme durch die Vielzahl der physiologischen und emotionalen Einflüsse bedingt wird, denen sie unterliegt. Je mehr die ästhetischen und phoniatrischen Voraussetzungen sich vermischen und überschneiden, desto fesselnder stellt sich das klangliche Ergebnis dar.

Anschauen vor Zuhören?

Offenbar existiert keine allgemeine Vorstellung davon, was es heißt, sich als klassische*r Musiker*in selbst zu promoten. Musikhochschulen geben zumeist wenig Anregungen und Impulse hinsichtlich der Marketinginstrumente, die ihren Absolvent*innen als Soloselbständige zur Verfügung stehen, und so bleibt diesen die Wahl der Mittel für Selbstpräsentation und Audience Development weitgehend selbst überlassen. Dies resultiert allzu häufig in einer Orientierung an den Mechanismen des kommerziellen Musikbetriebs – und damit in einem Primat des Visuellen: Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt auf dem eigenen Aussehen. Ganze Scharen von Interpret*innen beglücken ihr Publikum nicht etwa in erster Linie durch ihr Musizieren, sondern durch das Bestreben, sich in ihren aktuellen Konzertankündigungen, Amateurvideos oder Fotoshootings optisch vorteilhaft in Szene zu setzen.

Liebe Leute, wie wäre es denn, wenn ihr eure Reichweite in den sozialen Medien zur Unterstützung derjenigen Kolleg*innen einsetztet, die nur mit Mühe ihren Lebensunterhalt durch das Musizieren bestreiten können? Ist es statthaft, die eigene Marketingstrategie auf möglichst gutes Aussehen auszurichten, wenn so viele eurer freiberuflichen Mitstreiter*innen nicht angemessen bezahlt werden? Ich schlage vor, ein gewisses Standesbewusstsein in eure Selbstpräsentation zu integrieren: Bringt euren Followern die Wichtigkeit einer gesellschaftlichen und politischen Interessenvertretung nahe und lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf die desolate Situation des freiberuflichen Musikertums. Es wird eure Glaubwürdigkeit erhöhen, wenn ihr nicht nur hübsch ausseht und schön musiziert, sondern euch auch mit den elementaren Problemen unserer Branche beschäftigt und euch zu diesen positioniert. Wetteifert nicht um Komplimente, sondern um berufsständische Anerkennung. Entledigt euch eurer glamourösen Instagram-Profile, tretet stattdessen einem Berufsverband bei, engagiert euch für verbesserte Arbeitsbedingungen und werdet zu Botschaftern des Wohlergehens eurer Profession. Euer Einsatz wird vielfältig gewürdigt werden.

Hinter dem Vorhang

Laut einem Artikel in der New York Times wirken sich Probespiele, bei denen die Musiker_innen nicht sichtbar sind, negativ auf die ethnische Vielfalt in (nordamerikanischen) Orchestern aus und sind für ein diskriminierungsfreies Auswahlverfahren ungeeignet. Grundsätzlich überzeugt mich das zentrale Argument des Autors Anthony Tommasini, dass People of Colour nicht von einem meritokratischen System profitieren, an dem sie aus strukturellen Gründen nicht in ausreichendem Maße teilhaben – allerdings kann man über seine Schlussfolgerung durchaus geteilter Meinung sein. Es erschließt sich mir nicht, warum sich die Situation durch eine Abschaffung der ›blinden‹ Vorspiele verbessern sollte (oder ist nur die Überschrift irreführend?). Sicherlich ist eine vermehrte Unterstützung für nicht-weiße Bewerber_innen notwendig, um deren Chancengerechtigkeit zu vergrößern, gerade auch in den früheren Stadien der professionellen Musikausbildung; aber ich sehe keinen direkten Zusammenhang zwischen derartigen Maßnahmen und den Einstellungsverfahren bei Orchestern. Vielleicht mag mir jemand diese Logik erklären.