<span class="vcard">Wendelin Bitzan</span>
Wendelin Bitzan

Ein wegweisendes Festival am See

Ich habe das Detect Classic Festival in Neubrandenburg besucht, ein dreitägiges, von Konstantin Udert und Joseph Varschen entwickeltes und kuratiertes multistilistisches Eventformat. In bezaubernder Atmosphäre am Ufer des Tollensesees präsentierte das Festival ein vielfältiges Line-up mit klassischer und elektronischer Musik, die in zwei vormals militärisch genutzten Industriehallen aufgeführt wurde. Trotz der musikalischen Stilvielfalt (die ich bemerkenswert fand, auch wenn zeitgenössische Kunstmusik und Jazz weitgehend fehlten), war mein Eindruck, dass das klassische Konzertpublikum und die Partygänger_innen sich nicht tatsächlich miteinander vermischten. Die Eckpunkte des Programms, Orchesterkonzerte der Jungen Norddeutschen Philharmonie, des Ensemble Reflektor und des famosen Stegreif.Orchester, zogen ein anderes und deutlich zahlreicheres Publikum an als die übrigen Darbietungen, vermutlich bedingt durch die Bewerbung der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, in deren Rahmen die Veranstaltung stattfand. Es stellt sich die Frage, ob traditionelles Klassik-Marketing überhaupt geeignet ist, ein Festival zu promoten, das gerade auf die Überwindung von Genregrenzen und Publikumsgruppen abzielt. Eine erfolgreiche Verbindung zwischen Konzertsaal- und Clubkultur lässt sich wahrscheinlich nicht durch das Musikmanagement, sondern am ehesten durch das Wirken und die Aufgeschlossenheit der Künstler_innen verwirklichen. In dieser Hinsicht haben mich die Performances von Alexej Gerassimez, dem Ensemble Deep Strings und der Band AFAR am meisten beeindruckt. Ungeachtet meiner leichten Zweifel war das Festival eine überaus lohnende Erfahrung, die meine Perspektive auf den Musikbetrieb erneut geweitet und verdeutlicht hat, was bei der Gestaltung zeitgemäßer Konzertveranstaltungen getan werden kann und sollte.

Sammelband über Metner

Ich freue mich sehr, bekanntgeben zu können, dass ich gemeinsam mit Christoph Flamm einen Aufsatzband mit dem Titel Nikolai Medtner: Music, Aesthetics, and Contexts herausgeben werde, der im Laufe des Jahres 2020 beim Olms Verlag erscheint, ermöglicht durch eine Publikationsförderung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Der englischsprachige Band soll Aspekte von Metners Musik und künstlerischer Ideenwelt aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersuchen, wobei Beiträge jeglicher musikwissenschaftlicher und künstlerischer Provenienz willkommen sind. Wer sich mit Metner beschäftigt und einen Aufsatz beisteuern möchte, sende mir bitte bis zum 30. September 2019 einen Abstract und einen akademischen Lebenslauf. Die Volltexte sollten bis zum 31. Januar 2020 eingereicht werden. — Hier ist der offizielle Call for Contributions zu finden.

Eine Choryphäe tritt ab

Mit dem Rücktritt von Christian Grube als Dirigent des Kammerchors der UdK Berlin ist eine Ära zu Ende gegangen. Das klingt pathetisch, aber es entspricht der Wahrheit. Seit seiner Emeritierung als Professor für Chorleitung an der Universität der Künste Berlin blieb er stets seinen Idealen treu und leitete mit großem Enthusiasmus weiterhin das Ensemble, das er 1978 gegründet und als einziger Leiter mehr als vier Jahrzehnte lang geprägt hatte. Nun hat Christian im Alter von 84 Jahren entschieden, künftig nicht mehr vor dem Kammerchor zu stehen. Es ist völlig offen, ob und wie seine Arbeit fortgeführt werden kann. Was auch immer kommen mag: ich bin von Dankbarkeit erfüllt, die letzte Phase seines Wirkens in Berlin miterlebt zu haben. Vierzehn künstlerisch und persönlich ergiebige Jahre liegen hinter mir, in denen das Singen und Konzertieren unter Christians charismatischer Leitung mein Hören, Denken und Musikverständnis in kaum zu überschätzender Weise geformt haben. Herzlichen Dank!

Schwache Lobby für Freiberufler_innen

Es erstaunt und bestürzt mich, wie das freiberufliche Musikertum in zwei Artikeln aus der aktuellen neuen musikzeitung schlechtgeredet wird. In seinem Leitartikel berichtet der Herausgeber Theo Geißler von dem unlängst in Berlin stattgefundenen Kongress des Verbands deutscher Musikschulen und lässt es sich nicht nehmen, eine Gruppe von Demonstranten aus dem DTKV Sachsen zu schmähen, die am Rande der Veranstaltung für fairere Arbeitsbedingungen und mehr öffentliche Förderung protestiert hatten. Geißler greift die Basis des Protests scharf an und beschuldigt die Kolleg_innen, unter einer selbstgewählten Misere zu leiden – eine weltfremde und geradezu unverschämte Behauptung. In einem weiteren Artikel veröffentlicht die VdM-Führung eine ablehnende Stellungnahme zu einer Initiative des TKV Baden-Württemberg, in der Wettbewerbsverzerrung und Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und selbständig Beschäftigten angeprangert wurde. Es ist schwer verständlich, wie man sich als musikpädagogischer Interessenverband gegen die berechtigte Forderung nach einer ausgewogenen öffentlichen Förderung beider Gruppen wehren kann.

Die geschilderten Positionen konstruieren einen künstlichen Widerstreit zwischen Musikunterricht in öffentlicher Trägerschaft und Angeboten privater Institutionen. Dabei missachten sie den Umstand, dass die beiden ›Parteien‹ zumeist mit fast identischem Lehrpersonal operieren und bei gleicher Qualifikation nahezu gleiche Leistungen anbieten. Die beiden Sektoren müssen als eine funktionale Einheit und nicht als Konkurrenten gedacht werden. In den Berliner öffentlichen Musikschulen arbeiten noch immer mehr als 80% der Instrumental- und Gesangslehrer_innen unfreiwillig als Selbständige. Diese beträchtliche Gruppe muss sich in den genannten Artikeln als »Privatunternehmer« mit Gewinnerzielungsabsicht verunglimpfen lassen – eine völlig irrsinnige und beleidigende Bezeichnung für Menschen, die zumeist am Existenzminimum wirtschaften. Es ist beschämend, dass beherzte Initiativen im Sinne der Anliegen einer großen Mehrheit der Musizierenden und Unterrichtenden keinerlei Unterstützung durch diejenigen Personen und Organisationen erfahren, die eigentlich ihre Verbündeten sein sollten. Einmal mehr formieren sich der VdM und der Bundesverband des DTKV zu einer kontraproduktiven Opposition gegen ihre freiberuflich tätigen Kolleg_innen, und es ist schwer vorstellbar, wie angesichts dieser lähmenden Auseinandersetzungen noch erfolgreiche berufsständische Arbeit stattfinden soll.

Zum Gebrauch des eigenen Doktorgrads

Teil 1: Schriftliche Korrespondenz
(1) Präsentiere deinen Doktorgrad nach Belieben in deiner Mailsignatur, im Briefkopf oder im Adressstempel.
(2) Nenne deinen Doktorgrad gern im Anzeigenamen deines Mailausgangsservers, wenn du dies wirklich für notwendig hältst.
(3) Verzichte darauf, deinen Doktorgrad oder eine Kurzform desselben in deine Mailadresse zu integrieren (wie etwa: philip.dee.phd@ac.edu or dr.donald.rump@cumbridge.pov.jiz). Wenn irgend möglich, vermeide es, ihn mit der Hand auf Briefumschläge zu schreiben.
(4) Unterzeichne unter keinen Umständen deine Korrespondenz mit dem Doktorgrad vor oder nach deinem Namen, unabhängig von der gewählten Grußformel. Deine Partner_innen im Schriftverkehr werden es zu schätzen wissen. Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.

Teil 2: Mündliche Konversation
(1) Stelle dich niemals mit deinem Doktorgrad vor. (Nun, dies sollte selbstverständlich sein.)
(2) Erwarte nicht von anderen Personen, dass sie dich im Gespräch mit deinem Doktorgrad anreden.
(3) Erwähne deinen Doktorgrad nicht in außerakademischen Konversationen, wenn du nicht gerade von einer Behörde, Elsa von Brabant oder Meister Yoda (»Bescheiden sein du musst!«) danach gefragt wirst.