Ich habe einige Zeilen über Johanna Kinkels imaginative Beschreibung der Sonatensatzform, wie sie in ihrem Buch Acht Briefe an eine Freundin über Clavier-Unterricht (1852) enthalten ist, verfasst. Kinkel erzeugt eine vermeintlich ironische Analogie zwischen harmonischen Regionen und Familienmitgliedern, in der sie dem Hauptsatz und Seitensatz einer Sonatenexposition maskuline und feminine Eigenschaften zuordnet. Dies veranlasste mich zu einigen Überlegungen zur soziologischen und politischen Dimension ihrer Schriften. Der entstandene Text ist, wie es aussieht, mein erster Beitrag zur musikalischen Genderforschung. Über Kommentare oder kritisches Feedback würde ich mich freuen.
Hinfort mit dem Huldigungsetikett
Nun hat Berlins meistverehrter Dirigent sich von seinem Posten als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden zurückgezogen (während er selbstverständlich weiterhin als Chefdirigent auf Lebenszeit der Staatskapelle Berlin amtiert). Ich habe größtes Verständnis für den Drang, seine Verdienste zu würdigen, und teile die meisten der bereits geäußerten Einschätzungen von Barenboims Lebensleistung. Aber wie wäre es, wenn wir bei dieser Gelegenheit aufhörten, Dirigenten mit dem längst überholten Begriff maestro zu titulieren? Diese Bezeichung steht für toxische traditionelle Hierarchien, zementiert Ungleichheit und Machtmissbrauch und begünstigt künstlerische und administrative Untergebenheit. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn wir uns hier sowohl im Musikjournalismus als auch im Umgangssprachgebrauch einen Schritt weiter bewegen würden.
Die Natur der musikalischen Analyse
Manche Menschen glauben, Musik zu analysieren bedeute, harmonische Kürzel unter eine Basslinie zu setzen, ein Formdiagramm zu erstellen, motivische Beziehungen an unterschiedlichen Stellen zu vergleichen oder die Instrumentation eines Stücks zu untersuchen. Alle diese Strategien können als Mittel der Analyse eingesetzt werden – gleichwohl ist keine davon geeignet, das Wesen der Musik im Ganzen zu erfassen. Solange man ein Stück für sich allein betrachtet, ohne seine mannigfachen historischen, sozialen und ästhetischen Kontexte einzubeziehen, wird seine Untersuchung unvollständig bleiben.
Musikalische Analyse als vielgestaltige Aktivität mit künstlerischen, performativen und wissenschaftlichen Anteilen kann unmöglich ohne eingehende Kenntnisse des Repertoires betrieben werden. Von maßgeblicher Bedeutung, um zu wesentlichen Befunde zu gelangen, ist die Fähigkeit, ein Stück im Hinblick auf die Zeit und den Ort seiner Entstehung, die Lebenssituation seiner*seines Urheber*in und andere Musik, die in seinem Umfeld komponiert worden ist, betrachten zu können. Zentrale Fragen sind: Was lässt dieses bestimmte Kunstwerk im Vergleich zu anderen als einzigartig erscheinen, was macht seine Besonderheiten aus? Wann immer wir uns notierter oder erklingender Musik mit einer analytischen Absicht nähern, ist es notwendig, deren übergeordnete Kontexte und Bedeutungen zu berücksichtigen. Analyse ist Forschung.
»Die Partitur ist nicht die Musik selbst, ebenso wie ein Rezept noch keine Mahlzeit macht.«
Überblick zu Initativen für faire Vergütungen
Meine aktuelle Veröffentlichung in dem neu gegründeten Pro Musik Magazin gibt einen Überblick über die vielfältigen Bemühungen der letzten Monate, faire Vergütungen für freischaffende Musiker*innen zu erwirken. Dabei werden mehrere Initiativen in Berufsverbänden sowie auf politischer und administrativer Ebene gegenübergestellt und evaluiert. Manche der erwähnten Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen, aber dennoch mitteilenswert, um möglichst viele Kolleg*innen und betroffene Personen über die derzeitigen Entwicklungen zu informieren. Rückmeldungen und Kommentare sind sehr erwünscht!
Sublimer Silvestrov
Es war mir ein großes Vergnügen, aus der anonymen Perspektive des Publikums zu beobachten, wie hingebungsvoll Valentyn Sylvestrov der Darbietung seiner eigenen Stücke lauschte. Diese Erfahrung ließ mich eine zugleich physische und vergeistigte Nähe wahrnehmen, eine idealisierte Verbindung mit der Musik und ihrem Urheber, während ich in einen kontinuierlichen Klangstrom eintauchte, nahezu frei von Konturen und Kontrasten, der scheinbar endlos hätte andauern können. Vielen Dank an Viktorija Vitrenko, Alexej Ljubimov und den Pianosalon Christophori für das Ermöglichen dieses Konzerts, das nicht einmal zwei Kilometer entfernt von meiner Wohnung stattfand.