Wendelin Bitzan

Wendelin Bitzan

Veränderungen stehen an Berliner Musikschulen bevor

Der Berliner Senat hat in einer Pressemitteilung vom 19.03.2024 bekanntgegeben, dass an den hiesigen Bezirksmusikschulen einstweilen keine Honorarverträge in Arbeitsverträge umgewandelt werden – im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Kommunen, die nach einem Urteil des Bundessozialgerichts von Juni 2022, das die Sozialversicherungspflicht betrieblich eingebundener Honorarkräfte bestätigt hat, nun Rechtssicherheit für ihre Lehrkräfte herbeizuführen suchen. Stattdessen wird in Berlin der Status quo mit 77 Prozent freiberuflich tätigen Musikschullehrer:innen beibehalten, und der Senat stellt denjenigen Bezirken, die Einbußen durch etwaige Nachzahlungen von Arbeitgeberbeiträgen in Kauf nehmen müssen, eine Kompensation in Aussicht. In meinen Augen ist dies ein unverantwortliches Vorgehen, das den Honorarkräften in ihrer derzeitigen Situation nicht weiterhilft, sondern die Bezirksämter zur Fortsetzung einer potentiell rechtswidrigen Praxis ermutigt. Ich habe mit meinen Kolleg:innen aus dem Vorstand des Berliner Tonkünstlerverbands eine Stellungnahme zur Personalpolitik des Senats und deren möglichen negativen Auswirkungen verfasst, ergänzt durch Vorschläge zu alternativen Strategien für einen zukunftsorientierten Betrieb der Berliner Musikschulen.

» Die Stellungnahme des DTKV Berlin lesen

Gedanken zum absoluten Gehör

Als bei mir im Kindesalter ein absolutes Gehör diagnostiziert wurde, nahm ich dies als selbstverständlich hin und hielt es für keine besonders bemerkenswerte Fähigkeit. Ich war so sehr daran gewöhnt, Tonhöhen nach Belieben identifizieren und hervorbringen zu können, dass es mich überraschte festzustellen, dass das bei anderen nicht so war. Als Jugendlicher wurde mir immer mehr bewusst, dass es eine seltene und recht merkwürdige Eigenschaft war, über die ich verfügte. Diese war zudem ein Nerdfaktor, der mit meinem ohnehin ausgeprägten Nonkonformismus korrespondierte, und wurde häufig als Ausweis von Talent oder besonderer Musikalität missverstanden (wobei mir bewusst war, dass das nicht zutraf). Manchmal war ich sogar genervt davon, dass Hören und musikalisches Erleben bei mir untrennbar mit einer unbestechlichen Tonhöhenwahrnehmung verbunden waren, die ich nicht einfach einmal abschalten konnte.

An der Musikhochschule war ich dann von einem deutlich höheren Anteil von Menschen mit vergleichbaren Fähigkeiten umgeben und erkannte, dass es bestimmte Herausforderungen gab, die mit dem Wechsel zwischen absoluten und relativen Hörperspektiven zu tun hatten. Aktivitäten wie das Verfolgen von Musik in historischen Stimmungen, das Singen in einem Chor, der die Tonhöhe nicht halten konnte, oder das Transponieren vom Blatt stellten mich vor einige Schwierigkeiten. Ich versuchte meine Hörfähigkeiten gezielt im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Tönen und in mehrstimmigen Zusammenklängen weiterzuentwickeln und mich auf strukturelle Aspekte von Musik anstatt auf Einzelereignisse zu konzentrieren. In diesem Zuge veränderte sich mein absolutes Gehör und wurde in manchen Bereichen weniger zuverlässig (etwa bei weniger vertrauten Klängen und Instrumenten oder beim Angeben von Tönen ohne Referenz), dies wurde aber aufgewogen durch eine größere Flexibilität und einen beträchtlichen Zugewinn an Hörstrategien. Ich lernte, mein Gehör an veränderte Stimmtonhöhen anzupassen und Tonaufnahmen älterer Musik in derjenigen Tonart wahrzunehmen, in der sie geschrieben war. Ein entscheidender Faktor in diesem Prozess war, so glaube ich, meine eigene Gesangspraxis in verschiedenen Chören und Ensembles.

Im Studium war das absolute Gehör für mich zwar relevant, aber keineswegs ausschlaggebend. Obwohl ich alle Gehörbildungsprüfungen mit Auszeichnung bestand, fragte ich mich gelegentlich, welche Bedeutung diese Fähigkeit eigentlich haben konnte. Sie war sehr hilfreich bei der alltäglichen musikalischen Praxis und ermöglichte mir etwa eine jederzeitige tonale Orientierung im Verlauf des Hörens längerer und harmonisch komplexer Musikstücke, schien mir aber beileibe nicht unverzichtbar. Als ich nach dem Studienabschluss selbst Musiktheorie und Gehörbildung zu unterrichten begann, war das Absoluthören kaum noch ein Thema. Meine Studierenden fragten kaum einmal danach, und ich sah keine Veranlassung, ihm gezielte Aufmerksamkeit zu widmen oder gar eine spezialisierte Lehrmethodik für Absoluthörer:innen zu entwickeln. Ich bin überzeugt, dass relative Hörfähigkeiten stets gezielt gefördert und so weit wie möglich entwickelt werden sollten, während das absolute Hören, sei es nun gegeben oder nicht, dies nicht erfordert. Folglich lehne ich auch die in manchen Umfeldern und Kulturkreisen vorhandene Vorstellung ab, dass ein absolutes Gehör in irgendeiner Weise für die Beurteilung musikalischer Fertigkeiten von Belang sei.

Dinge zum Anschauen

Einige neue Materialien für meine Öffentlichkeitsarbeit sind fertiggestellt, und ich freue mich, sie zeigen zu können! Zunächst habe ich das lange gehegte Vorhaben, mir einen Anzug schneidern zu lassen, in die Tat umgesetzt. Dann entstand in einer sehr ergiebigen Fotosession eine Reihe neuer Portraits für mein visuelles Portfolio. Und schließlich fertigte ich eine Serie selbst gestalteter und im Bleisatzverfahren von Hand gedruckter Visitenkarten an. Unten sind einige der Resultate zu sehen.

Mit herzlichem Dank an: Anzug von Kuhn Maßkonfektion, Portraits von Ania Sudbin,
Klavier mit freundlicher Genehmigung von Reinhild Kuhn, Visitenkarten aus dem Druckgraphik Atelier

 

Ein erfüllendes Wochenende

Ich bin dankbar für ein Wochenende voller verschiedenartiger Musiken und Konzerterfahrungen: Am Freitag spielte ich erstmals einen Livestream aus meinem Studio und präsentierte einige Klavierstücke von Marie Jaëll. Am Samstag fühlte ich mich wunderbar unterhalten durch Lennart Schilgens virtuoses Liederprogramm im Zebrano Theater. Und am Sonntag hatte ich das Glück, ein hinreißendes Konzert mit Caroline Shaw und Sō Percussion im Konzerthaus Berlin zu erleben. Vielen Dank an die Menschen, die all dies ermöglicht haben!

Musik von Marie Jaëll am Frauentag

Anlässlich des #womencomposersday werde ich einige Stücke aus dem Klavierzyklus Les jours pluvieux (1894) der französisch-deutschen Komponistin Marie Jaëll aufführen. Ich freue mich am Freitag, 8. März, um 13 Uhr auf meiner Facebook-Seite über Publikum, das ungewöhnlicher und zu Unrecht selten aufgeführter Musik zugeneigt ist. Dank an Arno Lücker für diese Initiative! Hier steht das gesamte Programm, in dem einige hochgeschätzte Musiker:innen und Ensembles auftreten.