Wendelin Bitzan

Wendelin Bitzan

Treffende Beschreibung, ausbaufähige Strategien

Ein aktueller Artikel von Christian Höppner, Vorsitzender des Deutschen Kulturrats und Deutschen Tonkünstlerverbands sowie Generalsekretär des Deutschen Musikrats, liefert eine kompakte Analyse der derzeitigen Lage des klassischen Musikbetriebs, der in entscheidendem Maße durch die Arbeit freischaffender Künstler:innen geprägt ist, und stellt seine zahlreichen strukturellen Probleme dar – an vorderster Stelle die prekäre Einkommenssituation vieler Protagonist:innen. Der Artikel ist unter dem Titel »Aufbruch zu neuen Freiheiten?« in den Kulturpolitischen Mitteilungen erschienen und ist hier im Volltext verfügbar.

Höppner skizziert einige allgemeine Ansätze, um den gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen, legt sich aber nicht auf konkrete Strategien oder Handlungsempfehlungen fest, mit deren Hilfe Verbesserungen erwirkt werden könnten. Insbesondere bleibt unklar, wie die geforderte höhere gesellschaftliche Anerkennung für Kulturarbeit zu erreichen ist, und wie der grundsätzlichen Gefahr einer Deprofessionalisierung, wie sie der Autor beschreibt, begegnet werden kann. Höppner beansprucht außerdem einen erleichterten Zugang zur Künstlersozialkasse und eine Redefinition der Kategorie Arbeitslosigkeit, bezogen auf freischaffende Musiker:innen, wobei diese Schritte jeweils einer politischen Initiative bedürfen, um umgesetzt zu werden. Das bei Weitem wichtigste Desiderat scheinen verbindliche Honorarstandards für freie Musiker:innen und Musikpädagog:innen zu sein; dies bestätigt Höppner zwar, äußert sich aber nicht zu den entscheidenden Fragen, auf welche Weise entsprechende Richtlinien zu etablieren und zu durchzusetzen wären, und wie gewährleistet werden kann, dass Honoraruntergrenzen nicht umstandslos durch Auftraggeber und Auftragnehmer umgangen werden können (hierin liegt das wesentliche Problem bei den bisher existierenden Empfehlungen). Im Ganzen liefert der Artikel wenig mehr als eine Problembeschreibung, während tragfähige Handlungsstrategien und Lösungswege noch ausstehen.

Das Urheberrecht und das russische Internet

Viele Musiker:innen werden mit gewissen Quellen im russischen Internet vertraut sein, von denen man Partituren oder Fachliteratur herunterladen kann, die bisher nicht gemeinfrei sind. Von Plattformen wie ScorSer, dem Tarakanov-Archiv und ähnlichen Webseiten dürften die meisten Kolleg:innen zumindest gehört haben. Es gibt einen Fall, den ich besonders bemerkenswert finde: die dem Werk Jurij Nikolaevič Cholopovs gewidmete Seite www.kholopov.ru schließt eine elektronische Bibliothek ein, in der Scans etlicher verhältnismäßig aktueller musikwissenschaftlicher und musiktheoretischer Schriften in russischer, englischer und deutscher Sprache erhältlich sind. So werden unter dem Namen eines der prominentesten russischen Musikgelehrten des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl von Urheberrechtsverletzungen verursacht. Dieser Zustand wird sich in absehbarer Zeit kaum ändern, gerade in der aktuellen Situation, aber das bedeutet nicht, dass man sich dieser und ähnlicher Fälle nicht bewusst sein sollte. — NB: Im Jahr 2004 ist in Russland die urheberrechtliche Schutzfrist von 50 auf 70 Jahre post mortem auctoris verlängert worden.

GMTH International Music Theory Lectures

Die Gesellschaft für Musiktheorie hat eine neue internationale Vortragsreihe ins Leben gerufen, und ich freue mich, an der Organisation beteiligt zu sein. Das Projekt geht auf eine Idee meines Kollegen Stephan Schönlau zurück, der sich seit dem letzten Jahr eine intensive Planungsphase in der Arbeitsgruppe Internationales der GMTH angeschlossen hat – nun wird die Reihe tatsächlich realisiert. Den Eröffnungsvortrag wird kein Geringerer als Kofi Agawu halten, der sich am 25. April 2022 um 19:30 MESZ dem Thema »Rethinking (American) Music Theory, with African Aid« widmen wird. Auf den Vortrag folgt eine Respondenz und offene Diskussion. Alle Interessierten sind eingeladen, sich über dieses Formular zur Teilnahme anzumelden.

Neuerungen in der Verbandsarbeit

Derzeit bin ich mit der Vorbereitung der diesjährigen ordentlichen Mitgliederversammlung des DTKV Berlin beschäftigt. Während der sehr produktiven letzten sechs Monate haben wir im Vorstand einige Schritte auf dem Weg zur Modernisierung und Professionalisierung des größten Berliner Musik-Berufsverbands getan: wir haben eine neue Satzung und Geschäftsordnung verabschiedet, eine cloudbasierte Vereinsverwaltung samt Mitgliederportal in Betrieb genommen, unsere Öffentlichkeitsarbeit neu aufgestellt und einige neue Kooperationen mit anderen Verbänden und Organisationen initiiert. Die derzeitigen Vorstandsmitglieder und ich selbst als stellvertretender Vorsitzender werden für eine weitere Amtszeit kandidieren. Obwohl es Kräfte im Verband gibt, die uns an der Fortsetzung unserer Arbeit hindern möchten, sind wir zuversichtlich, auch weiterhin für die Interessenvertretung insbesondere unserer freischaffend tätigen Mitglieder und für deren berufspolitische Anliegen eintreten zu können.