Wendelin Bitzan

Wendelin Bitzan

Bemühungen um faire Honorare für Freischaffende

In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich verbandsübergreifend und auf verschiedenen politischen und strukturellen Ebenen Initiativen formiert, die sich für Mindeststandards oder Honoraruntergrenzen für freischaffende Musiker:innen einsetzen. Dabei wird zum Teil an bestehende Vorarbeiten in diesem Bereich (etwa durch die Deutsche Orchestervereinigung, die Tonkünstlerverbände Baden-Württemberg und Bayern oder den Sächsischen Musikrat) angeknüpft; in manchen Belangen fehlt aber noch eine übergeordnete Perspektive, um für möglichst viele Freischaffende sprechen zu können und plausible Forderungen für den gesamten Sektor formulieren zu können. Es existiert bisher keine zentrale Stelle, an der die folgenden jüngeren Initiativen und Arbeitsgruppen inhaltlich gebündelt und untereinander vernetzt werden.

  • Gesprächstermin auf Einladung der Kulturstaatsministerin Claudia Roth und des Arbeitsministers Hubertus Heil zum Thema »Soziale Absicherung verbessern« am 30.05.2022. Hier waren verschiedene Protagonist:innen und Freischaffendenverbände aus der Kultur- und Kreativwirtschaft beteiligt. Nach der Veröffentlichung eines Berichts zu den Diskussionsgegenständen ist noch unklar, wann und in welcher Form an den Termin angeknüpft wird, und ob daraus ein fester Arbeitskreis entsteht.
  • Gesprächstermin auf Einladung der Kultusministerkonferenz für die neu gegründete Kommission »Faire Vergütung von Künstlerinnen und Künstlern« am 22.06.2022. Es diskutierten Vertreter:innen aus der Musikbranche und den Fachverbänden, vorrangig über Möglichkeiten in der öffentlichen Kulturförderung. Nachdem das Vorhaben bereits im März 2022 in einer Pressemitteilung der Kultusministerkonferenz angekündigt wurde, gibt es bisher noch keine öffentliche Dokumentation der Gesprächsergebnisse oder Informationen über das geplante weitere Vorgehen.
  • Vorschlag der Sektion Kunst und Kultur der Gewerkschaft ver.di zur Berechnung von Basishonoraren vom 29.06.2022. Der veröffentlichte Beitrag stellt die Grundprinzipien des Berechnungsmodells vor, ermöglicht aber noch keine tieferen Einblicke in das Zahlenwerk, über dessen konkrete Ausgestaltung noch debattiert wird.
  • Konstituierende Sitzung einer im Präsidium des Deutschen Musikrats initiierten Arbeitsgruppe »Faire Vergütung« am 13.07.2022. Die Besetzung der Arbeitsgruppe wurde unilateral gesteuert; beteiligt waren Gewerkschaften und Berufsverbände, vorrangig auf Bundesebene. Eine Berichterstattung zu den ersten Arbeitsergebnissen und weiteren Perspektiven steht noch aus.
  • Umfrage der Initiative SO_LOS in Kooperation mit ver.di zu Honoraren von Soloselbständigen, gestartet am 15.07.2022. Die branchenübergreifende Erhebung »Reden wir über Geld!« bezieht sich auf aktuelle Freischaffendenhonorare weit über den Kulturbetrieb hinaus und soll eine Orientierung für individuelle und kollektive Verhandlungen geben. Eine Veröffentlichung der Umfrageergebnisse ist für Oktober 2022 geplant.

Ein unbequemer Solitär

Einer der streitbarsten Musikwissenschaftler aller Zeiten hat die Bühne verlassen: Vor wenigen Tagen starb Richard Taruskin (1945–2022). Als Musikforscher und ausübender Musiker hat er, wo auch immer er in Erscheinung trat, Kontroversen erzeugt oder befeuert. Sein Verdienst ist es, den Fachdiskurs in einer Weise polarisiert und polisitiert zu haben, dass der Diskurs über (klassische) Musik zu einer öffentlichen Angelegenheit von unangefochtener gesellschaftlicher Relevanz wurde. Insbesondere bei der Erforschung russischer Musik, auf die große Teile seiner produktiven Publikationstätigkeit gerichtet waren, hat er neue Maßstäbe gesetzt; dabei hat er wiederholt Mythen der Musikgeschichtsschreibung entlarvt und verbreitete Forschungsmeinungen revidiert. Mit Sicherheit werden auch diejenigen, die ihm energisch widersprochen haben, bedauern, dass seine Stimme nun verstummt ist. Mein eigener Nachruf ist heute im VAN Magazin erschienen.

Kammerdialog in Düsseldorf

Ich freue mich, die bevorstehenden Aufführungen meines Klaviertrios Kammerdialog. Eine Konversation mit Geige, Cello und Klavier ankündigen zu dürfen, das am 9. und 10. Juli mehrmals bei den Tagen der Kammermusik im Partika-Saal der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf zu hören sein wird. Das Stück stammt bereits aus dem Jahr 2008, ist aber erst zwei Mal öffentlich gespielt worden, und auch dies ist schon eine ganze Weile her. Deshalb schätze ich mich glücklich über die Unterstützung der Cellistin Inés Bueno López und des Geigers Enrique Carlsson, die gemeinsam mit mir jeweils zwei Mal an den folgenden Terminen zu erleben sein werden. Eine herzliche Einladung sei hiermit ausgesprochen.

  • Samstag, 9. Juli 2022, ab 19 Uhr: gemeinsam mit Klaviertrios von Beethoven und Clara Schumann
  • Sonntag, 10. Juli 2022, ab 11 Uhr: flankiert von weiteren Trios von Haydn und Schostakowitsch

Kleine Lobpreysung

Eine meiner prägendsten Lehrerpersönlichkeiten, die nachhaltig beeinflusst hat, wie ich Musik höre und über sie nachdenke, ist der Musiktheoretiker, Kontrabassist, Mathematiker im Herzen und Philantrop Stefan Prey. Zum Ende des Sommersemesters 2022 wird er von der Fakultät Musik der Universität der Künste Berlin, an der er vier Jahrzehnte lang gelehrt hat, seinen Abschied nehmen. Seine Laufbahn lässt sich als still und hingebungsvoll bezeichnen: er strebte niemals nach öffentlicher Darstellung oder Reputation, sondern konzentrierte sich auf die Themen, die ihn faszinierten, und erwies sich als ein bedingungsloser Förderer der Interessen und Belange seiner Studierenden – mit einer Aufrichtigkeit und Redlichkeit, die ich nirgendwo sonst erlebt habe. Das Erscheinungsbild seiner Webseite sagt mehr über seine Persönlichkeit aus, als ich hier darzustellen in der Lage bin. Ich kann lediglich sagen, dass meine Art zu unterrichten und mein grundsätzlicher Ansatz, Musik aufzufassen und zu verstehen, sich zu wesentlichen Teilen dem Vorbild Stefans verdankt. Und so bin ich dankbar und geehrt, meinen Teil zu der Online-Festschrift zu seinem 65. Geburtstag beitragen zu können: einen analytischen Beitrag über Musik von Amy Beach, der hier abrufbar ist. Vielen herzlichen Dank!

Die Mannigfaltigkeit (der Geschichte) der Musiktheorie

Erst jetzt habe ich Alexander Rehdings Blogpost-Folge »Can the History of Music Theory Be Decentered« in voller Länge zur Kenntnis genommen (originale Fassung hier). Der Text stammt bereits aus dem Jahr 2020, ist aber kürzlich ins Deutsche übersetzt und auf dem Blog musiconn.kontrovers veröffentlicht worden (siehe hier). Die Lektüre hinterlässt mich fasziniert, inspiriert und ein wenig ratlos. Den Kanon ›westlicher‹ Kunstmusik und Musiktheorie zu hinterfragen – was mich bereits seit einiger Zeit umtreibt – ist eine Sache; den nächsten Schritt zu tun, in Aktion zu treten und Curricula und Lehrinhalte zu überdenken stellt weiterhin eine bemerkenswerte Herausforderung für Menschen dar, die durch ein nicht-diverses akademisches Umfeld geprägt sind. Solche Prozesse müssen offensichtlich in den Köpfen beginnen und benötigen einige Zeit, um sich zu materialisieren. Ich bin auf dem Weg.