Wendelin Bitzan

Wendelin Bitzan

Komponieren im Elfenbeinturm

In einem kürzlich erschienenen Interview in der neuen musikzeitung bekennt Claus-Steffen Mahnkopf, ein produktiver Komponist und seit fast 20 Jahren Professor an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, dass er nicht weiß, warum sich an Musikhochschulen in Deutschland so wenige einheimische Kandidat:innen für ein Kompositionsstudium bewerben. Anschließend beklagt er ausführlich, dass seine Stücke und Werkkonzeptionen, die er routinemäßig als Aufführungsvorschläge an Orchester und Opernhäuser versendet, fast jedes Mal abgelehnt werden. Ernsthaft, Herr Mahnkopf? Ich frage mich, wie jemand, der seit Jahrzehnten in die Ausbildung von Komponist:innen involviert ist, so ahnungslos sein kann, was die Defizite in der vorhochschulischen Qualifikation und die massiv angestiegenen Schwierigkeiten der Bewerber:innen, die Anforderungen an die Aufnahme eines Musikstudiums zu erfüllen, betrifft. Neben diesem besorgniserregenden Mangel an Anteilnahme fällt auf, dass weder Mahnkopf noch sein Gesprächspartner die offensichtliche Verbundenheit der beiden angesprochenen Missstände bemerken: die Nichtexistenz eines nachhaltigen und integrativen Förderungssystems zur Unterstützung junger Menschen auf dem Weg zu einer Musikerkarriere, und die fast flächendeckende Entfremdung des klassischen Musikbetriebs von allen aktuellen und zeitgenössischen Entwicklungen. Sollte ein Kompositionsprofessor nicht um die Zukunft seines Metiers besorgt sein und sich für mögliche Strategien interessieren, wie Jugendliche an das Komponieren und Aufführen neuer Musik herangeführt werden können? An nahezu jedem Satz Mahnkopfs wird deutlich, dass da jemand spricht, der den Kontakt zu den Grundlagen musikalischer Nachwuchsförderung längst verloren hat. #elfenbeinturm

Skrjabin-Konferenz in England

Ich freue mich sehr, am kommenden Wochenende an der Konferenz Scriabin @ 150 zum Jubiläumsjahr Aleksandr Skrjabins teilzunehmen, die an der Queen Anne’s School im englischen Caversham bei Reading stattfindet. Innerhalb einer illustren Gemeinschaft von Forscher:innen und Musiker:innen, die ihre Ansätze und Interpretationen zu Skrjabins Musik präsentieren, werde ich einige Gedanken zu den wenig beachteten Parallelen zwischen Skrjabin und seinem Moskauer Zeitgenossen Nikolaj Metner beisteuern. Vielen Dank an Kenneth Smith, Marina Frolova-Walker und alle anderen Kolleg:innen, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben!

Interessenvertretung für Berliner Musiker:innen

Mit Spannung sehe ich fünf Meetings innerhalb von sechs Tagen entgegen, bei denen ich die Positionen des Vorstands des Deutschen Tonkünstlerverband Berlin und die Anliegen der Mitglieder darstellen und weitervermitteln möchte. Wir werden uns mit Vertreter:innen des Landesmusikrat Berlin, der Fachgruppe Musik von ver.di, des Bundesverbands der Freien Musikschulen, des DACH Musik Berlin und mit den Kolleg:innen vom Pro Musik Verband austauschen, um Perspektiven der freischaffenden künstlerischen Arbeit und Kulturpolitik zu diskutieren. Diese Aktivitäten geschehen auf der Grundlage ehrenamtlichen Engagements, solange keine Möglichkeit besteht, die Arbeit von Berufsverbänden und künstlerischen Interessenvertretungen durch öffentliche Förderung zu unterstützen. Also werden wir unsere Bemühungen auch mit dem übergeordneten Ziel, das Berufsfeld weiter zu professionalisieren, fortsetzen.

Lysenkos sowjetisches Erbe?

Kürzlich stieß ich in den sozialen Medien auf die Behauptung, dass die Nationalhymne der Sowjetunion, komponiert 1943 von Aleksandr Vasil’evič Aleksandrov und seit 2000 mit angepasstem Text als Hymne der russischen Föderation verwendet, durch ein Klavierwerk des ukrainischen Komponisten Mykola Vitalijovyč Lysenko, Fragment épique aus dem Jahr 1876, inspiriert worden sein könnte. Tatsächlich weist der Anfang der Hymne eine deutliche Ähnlichkeit mit einer Passage kurz vor dem Ende von Lysenkos Komposition auf. Handelt es sich hier um ›kreative Aneignung‹, wie diese Quelle nahelegt, oder gar um ein Plagiat (vorausgesetzt, dass Aleksandrov das Klavierstück von Lysenko kannte, was schwer zu beweisen sein dürfte)? Oder liegt nur eine zufällige Übereinstimmung der Melodie und Harmonik vor, die sich der gemeinsamen Bezugnahme beider Beispiele auf das Satzmodell der Romanesca bzw. des Dur-Moll-Parallelismus verdankt? Was meint ihr?

Workshop zu fairen Honoraren

Ich freue mich, an einer Diskussion zur Entwicklung für Honorarstandards in der öffentlichen Förderung von Musikprojekten in Berlin beteiligt zu sein. Als Vertreter des Deutschen Tonkünstlerverbands Berlin nahm ich heute an einer Gesprächsrunde mit Freischaffenden und Expert:innen aus verschiedenen Berliner Musikverbänden teil, die Empfehlungen für die Senatsverwaltung für Kultur und Europa erarbeiten wird – ein wichtiger Schritt für meinen Verband, um an den derzeitigen und zukünftigen kulturpolitischen Entwicklungen teilhaben zu können und den Mitgliedern eine Meinungsbildung zu ermöglichen. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung der Gespräche in der nächsten Woche.