Teaching
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Komponieren im Elfenbeinturm

In einem kürzlich erschienenen Interview in der neuen musikzeitung bekennt Claus-Steffen Mahnkopf, ein produktiver Komponist und seit fast 20 Jahren Professor an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, dass er nicht weiß, warum sich an Musikhochschulen in Deutschland so wenige einheimische Kandidat:innen für ein Kompositionsstudium bewerben. Anschließend beklagt er ausführlich, dass seine Stücke und Werkkonzeptionen, die er routinemäßig als Aufführungsvorschläge an Orchester und Opernhäuser versendet, fast jedes Mal abgelehnt werden. Ernsthaft, Herr Mahnkopf? Ich frage mich, wie jemand, der seit Jahrzehnten in die Ausbildung von Komponist:innen involviert ist, so ahnungslos sein kann, was die Defizite in der vorhochschulischen Qualifikation und die massiv angestiegenen Schwierigkeiten der Bewerber:innen, die Anforderungen an die Aufnahme eines Musikstudiums zu erfüllen, betrifft. Neben diesem besorgniserregenden Mangel an Anteilnahme fällt auf, dass weder Mahnkopf noch sein Gesprächspartner die offensichtliche Verbundenheit der beiden angesprochenen Missstände bemerken: die Nichtexistenz eines nachhaltigen und integrativen Förderungssystems zur Unterstützung junger Menschen auf dem Weg zu einer Musikerkarriere, und die fast flächendeckende Entfremdung des klassischen Musikbetriebs von allen aktuellen und zeitgenössischen Entwicklungen. Sollte ein Kompositionsprofessor nicht um die Zukunft seines Metiers besorgt sein und sich für mögliche Strategien interessieren, wie Jugendliche an das Komponieren und Aufführen neuer Musik herangeführt werden können? An nahezu jedem Satz Mahnkopfs wird deutlich, dass da jemand spricht, der den Kontakt zu den Grundlagen musikalischer Nachwuchsförderung längst verloren hat. #elfenbeinturm

Kleine Lobpreysung

Eine meiner prägendsten Lehrerpersönlichkeiten, die nachhaltig beeinflusst hat, wie ich Musik höre und über sie nachdenke, ist der Musiktheoretiker, Kontrabassist, Mathematiker im Herzen und Philantrop Stefan Prey. Zum Ende des Sommersemesters 2022 wird er von der Fakultät Musik der Universität der Künste Berlin, an der er vier Jahrzehnte lang gelehrt hat, seinen Abschied nehmen. Seine Laufbahn lässt sich als still und hingebungsvoll bezeichnen: er strebte niemals nach öffentlicher Darstellung oder Reputation, sondern konzentrierte sich auf die Themen, die ihn faszinierten, und erwies sich als ein bedingungsloser Förderer der Interessen und Belange seiner Studierenden – mit einer Aufrichtigkeit und Redlichkeit, die ich nirgendwo sonst erlebt habe. Das Erscheinungsbild seiner Webseite sagt mehr über seine Persönlichkeit aus, als ich hier darzustellen in der Lage bin. Ich kann lediglich sagen, dass meine Art zu unterrichten und mein grundsätzlicher Ansatz, Musik aufzufassen und zu verstehen, sich zu wesentlichen Teilen dem Vorbild Stefans verdankt. Und so bin ich dankbar und geehrt, meinen Teil zu der Online-Festschrift zu seinem 65. Geburtstag beitragen zu können: einen analytischen Beitrag über Musik von Amy Beach, der hier abrufbar ist. Vielen herzlichen Dank!

Komponistinnen im Musiktheorieunterricht

Ich habe eine Playlist mit Werken von Komponistinnen erstellt, die ich mit großem Gewinn als Analysebeispiele und Satzübungen in meinem Musiktheorieunterricht verwendet habe. Die meisten Stücke waren leicht in das Curriculum zu integrieren und erwiesen sich als gut geeignete Beispiele für diejenigen Gattungen, Formen und Satztechniken, die ich thematisieren wollte. Die Liste enthält eine Auswahl meiner liebsten Kompositionen von Maddalena Casulana bis Sofija Gubajdulina. Lasst es mich wissen, wenn euch etwas fehlt oder ein bestimmtes Werk in die Liste aufgenommen werden sollte.

Vielfalt im Musiktheorieunterricht

Während des vergangenen Semesters habe ich in meinen Lehrveranstaltungen versucht, Musik von Frauen und Composers of Colour hörbarer und sichtbarer zu machen. Dies führte zu einigen hochinteressanten Entdeckungen von Werken, deren Existenz mir zuvor nicht bewusst war, und es bereitete mir große Freude zu sehen, wie gut sich die neuen Beispiele in den Unterricht integrieren ließen. Es gibt so viel hörens- und betrachtenswerte Musik jenseits des klassischen ›Kanons‹ (den ich nicht ausschließen, sondern durch weniger bekannte Kompositionen ergänzen möchte), und angesichts einiger sehr positiver Reaktionen von Studierenden sehe ich keinen Anlass, nicht auf diese Weise fortzufahren. Tatsächlich war die Diversifizierung der Musikbeispiele ein so leichter und naheliegender Schritt, dass ich mich frage, warum ich dies nicht schon früher getan habe.

Hier folgt eine Liste von Komponist_innen, deren Musik mir in den vergangenen vier Monaten die inspirierendsten und lohnendsten Gegenstände zur Beschäftigung im Unterricht lieferte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Maddalena Casulana, Raffaella Aleotti, Francesca Caccini, Anna Amalia von Preußen, Joseph Bologne de Saint-Georges, Juliane und Louise Reichardt, Maria Theresia Paradis, Sophie Westenholz, Maria Szymanowska, Louise Farrenc, Emilie Mayer, Pauline Viardot, Ella Adaevskaja, Cécile Chaminade, Mélanie Bonis, Ethel Smyth, Amy Beach, Leokadija Kašperova, Elena Gnesina, Florence Price, Germaine Tailleferre und Lili Boulanger.

Reformprojekt Musikhochschule

Seit einigen Monaten präsentiert die Initiative Neue Musikhochschule auf ihrer Webpräsenz ein umfassendes alternatives Konzept zu dem traditionellen, durch Hierarchien und festgefügte Machtstrukturen gekennzeichneten System der professionellen Musikausbildung. An die Stelle von Meisterlehre, Geniekult und Leistungsdruck soll ein inhaltlich offenes und ganzheitliches akademisches Lehren und Lernen treten, das nach konsensualen Prinzipien organisiert ist; das kreative und innovative Potential musischer Ausbildung soll unter der Voraussetzung der Gleichwürdigkeit und Mündigkeit aller Beteiligten neu gedacht werden. Auch wenn das Konzept einige wichtige administrative und inhaltliche Aspekte (etwa die Aufgabe traditioneller Repertoirebeschränkungen) bisher noch nicht thematisiert, verdienen die Ideen der Initiatoren Hans-Christian Hauser, Sebastian Haas und Hayo Keckeis größtmögliche Beachtung und Würdigung, wozu ich mit diesem Text beitragen möchte.