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Musik aus Stettin

Herzliche Grüße aus Stettin, wo ich heute ein famoses Symphoniekonzert in der gerade fünf Jahre alten Mieczysław-Karłowicz-Philharmonie erleben durfte. Dieser Ort ist ein akustischer und architektonischer Hochgenuss, und es ist mir fast unangenehm zu gestehen, dass ich zuvor niemals von ihm gehört habe. Soweit ich sehe (und es sich dabei nicht um meine eigene Ignoranz handelt), scheint die deutsche Fachpresse die Einweihung dieses Konzertsaals im Jahr 2014 nicht angemessen gewürdigt oder sie aufgrund der medienwirksamen Eröffnungen der Elbphilharmonie Hamburg und des Pierre Boulez Saals verdrängt zu haben. Liebe Berliner: Warum erwägt ihr nicht eine Tagesreise, um dieses nur 150 Kilometer entfernte Juwel kennenzulernen? Man bietet dort einen vielseitigen Konzertkalender mit durchdachten und niedrigschwelligen Musikvermittlungsangeboten, und Rune Bergmann tritt als ein inspirierender Chefdirigent in Erscheinung. Am besten gefällt mir jedoch der Umstand, dass dank einer Kooperation mit Stettiner Musikschulen während der Konzertpausen Schülerinnen und Schüler im oberen Foyer auftreten und die Gelegenheit erhalten, sich mit kurzen Stücken einem wohlwollenden und zahlreichen Publikum zu präsentieren – eine höchst gelungene Synergie aus Kulturpolitik und musikpädagogischer Initiative.

Eine Elfenbeinturmtagung in Freiburg

Es ist Zeit für einen kurzen Rückblick auf eine schöne Reise ins Breisgau, wo ich vom 10. bis 12. April 2019 am ersten Kongress des kürzlich gegründeten Forschungs- und Lehrzentrums Musik teilgenommen habe. Die Tagung fand in der Musikhochschule Freiburg statt und wurde gemeinsam mit der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg durchgeführt. Der Titel »Zwischen Elfenbeinturm und Employability« ließ einen Themenschwerpunkt auf den Karriereaussichten für Musiker_innen vermuten; die Veranstaltung erwies sich jedoch eher als Selbstpräsentation der interdisziplinären Arbeit an den beiden beteiligten Institutionen. Dies stellte einen Wert für sich dar, und ich war höchst beeindruckt von verschiedenen Vorträgen, Darbietungen und Unterrichtsdemonstrationen – allerdings wurden auch die begrenzte Perspektive und der Mangel an Impulsen von außerhalb deutlich. In meinen Augen leidet die derzeitige Situation der professionellen Musikausbildung in Deutschland an zwei gravierenden Fehlentwicklungen: (1) die extreme Schwierigkeit, von einem Anstellungsverhältnis oder einer freiberuflichen Tätigkeit als Musiker_in leben zu können, die zum Teil durch die Unfähigkeit (oder den Unwillen) der Musikhochschulen, ihre Absolventen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, verursacht wird; und (2) sinkendes Ausbildungsniveau und stetig schwindende Aussichten für den einheimischen Nachwuchs, woraus ein mittlerweile absurd hoher Anteil ausländischer Studierender resultiert. Keines dieser Probleme wurde bei dem Freiburger Kongress thematisiert. Die nächste Veranstaltung dieser Art wird nicht ohne einen offenen Call for Contributions auskommen können, und ihr Themenspektrum sollte auch die Erforschung und Diskussion von Karrierewegen vor und nach der Hochschulausbildung einschließen.

Sei mein Genie!

Ich habe einige Zeilen über die fragwürdige Neigung im Musikjournalismus, Interpreten als ›Genies‹ und Dirigenten als ›Maestri‹ zu bezeichnen, verfasst. Nicht dass mich jemand nach meiner Meinung gefragt hätte, und es könnte sein, dass manche von euch diese Diskussion unerheblich finden – aber genau das hat mich bewogen, mein Unbehagen über diese Sachverhalte zum Ausdruck zu bringen. Der Text ist im VAN Magazin erschienen. Ich begrüße eure Gedanken und Kommentare dazu.

Musik und (a)soziale Medien

In der jüngsten Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Musik (#1 / 2019) ist ein Artikel samt Interview von Anna Schürmer erschienen, in dem das Spannungsfeld von Social Media und zeitgenössischer Musik thematisiert wird. Enthalten sind lesenswerte Darstellungen von Moritz Eggert, Johannes Kreidler, Irene Kurka und Martin Tchiba, sowie einige Gedanken über digitale Kommunikations- und Publikationswege aus meiner bescheidenen Perspektive. Danke fürs Ermöglichen!

Blasphemieopfer Barenboim?

Ich finde die jüngste Berichterstattung über den Führungsstil Daniel Barenboims einigermaßen überraschend. Ein Artikel im VAN Magazin erhebt zwischen den Zeilen den Anspruch des Aufdeckens von Tatsachen oder neuen ›Einblicken‹ in die Berliner Musikszene, während andere Stimmen die Angelegenheit herunterspielen, den Eindruck erwecken, dass die Diskussion gerade erst begonnen habe, oder den Protagonisten gar im Sinne einer überkommenen Genieästhetik verteidigen. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass die meisten in irgendeiner Weise mit der Staatsoper Unter den Linden, der Staatskapelle Berlin oder der Barenboim-Said Akademie verbundenen Musiker_innen ähnliche Geschichten erzählen könnten, wie sie bei VAN anonymisiert wiedergegeben werden. Es scheint offensichtlich, dass hier jemand zuviel Macht besitzt – aber das eigentliche Problem ist nicht Barenboim selbst, sondern das System, das ihm zur Macht verholfen hat, ihm enorme finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, ihn seit Jahrzehnten hofiert und zulässt, dass er drei öffentlich geförderte Institutionen kontrolliert. Sicherlich muss man Barenboim dafür verantwortlich machen, despotische Arbeitsbedingungen kultiviert und quasi-feudalistische Strukturen in seinen Umfeldern herbeigeführt zu haben. Dennoch liegt die Hauptverantwortung für diese Fehlentwicklungen bei der Bundesregierung und dem Berliner Senat, die sich um jeden Preis einen vermeintlichen Weltklassedirigenten als ›Leuchtturm‹ des Berliner Geltungsdrangs leisten. Die derzeitige Kritik ist berechtigt, aber wirkungslos, solange sich große Teile der Berliner Kulturpolitik dermaßen von Barenboim abhängig machen. Sein Fall ist nur ein Symptom eines korrumpierten klassischen Musikbetriebs, der in den Institutionen wie auch in der Berufsausbildung durchgängig auf Hierarchien, Autoritätshörigkeit und Machtausübung fußt.