Die gestrige Mitgliederversammlung des Deutschen Tonkünstlerverbands Berlin war eine turbulente und zum Teil chaotische Sitzung von knapp vier Stunden. Obwohl die Tagesordnung nicht abgeschlossen werden konnte, sind einige Ergebnisse zu vermelden: Die meisten der vormaligen Mitglieder des geschäftsführenden Vorstands haben sich zurückgezogen oder sind abgewählt worden, und ein neuer Vorstand ist im Amt. Es sind erhebliche Änderungen im Selbstverständnis und in der Arbeitsweise des Berufsverbands zu erwarten, und es zeichnet sich ab, dass die zukünftige Arbeit sich deutlich von der bisherigen unterscheiden wird. Darüber hinaus wurde eines unserer engagiertesten Mitglieder, gegen das der ehemalige Vorstand ein unberechtigtes Verbandsausschlussverfahren betrieben hatte, von der Versammlung rehabilitiert. Weitere Informationen werden folgen, sobald sich der neue Vorstand konstituiert hat.
General
Gedanken zum akademischen Publizieren
Als ein sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich tätiger Mensch empfinde ich keinen derartigen Publikationsdruck, wie ihm jemand in den Geistes- oder Naturwissenschaften ausgesetzt sein mag. Dennoch ist es mir ein Bedürfnis, regelmäßig zur Forschungslandschaft meiner Interessengebiete beizutragen, indem ich für Zeitschriften, Tagungsbände oder monographische Studien schreibe, und auf diese Weise mein publizistisches Profil zu schärfen. Dabei scheint mir ein uneingeschränkter OpenAccess mit Hilfe von CreativeCommons-Lizenzen unter Verzicht auf jegliche Gebühren oder Restriktionen für potentielle Leser_innen der geeignetste Weg der Veröffentlichung zu sein – vor allem deshalb, weil mein Berufsfeld, gemessen an seiner allgemeinen gesellschaftlichen Relevanz, als marginale Disziplin gelten kann. Freie Zugänglichkeit bedeutet mir mehr als Monetarisierung meines Schreibens. In anderen Worten: So, wie sich die akademische Landschaft derzeit darstellt, sehe ich keinen Mehrwert im kommerziellen Publizieren.
Augenscheinlich ist diese Haltung aber einigen Partnern im publizierenden Gewerbe fremd. Obwohl es in Europa und Nordamerika viele überzeugende Beispiele für Gold- und Green-OpenAccess-Strategien gibt, bin ich in der letzten Zeit auf Schwierigkeiten gestoßen, wenn es darum ging, meine Arbeiten nach einer Phase der konventionellen Printpublikation neu zu verwenden oder im Netz zu archivieren. Etwa gibt es Zeitschriften, die grundsätzlich keinen Green-OpenAccess nach einer Sperrfrist gestatten oder die Autor_innen für Veröffentlichungen auf Portalen außerhalb der persönlichen Webseite zur Kasse bitten. Plattformen wie Academia.edu oder ResearchGate erlauben es Forschenden, ihre Arbeitsergebnisse auf nichtkommerzieller Basis bereitzustellen, ohne dass Geld fließt, werden aber trotzdem für ihren vermeintlich profitorientierten Ansatz kritisiert und gegen andere Repositorien ausgespielt – vor allem durch Verlage, die selbst bisher keine tragfähige OpenAccess-Strategie entwickelt haben. Ein zeitgemäßer Umgang mit Urheberrechtsfragen und Nutzungsrechten sollte nicht allein die traditionelle Verlagsperspektive vertreten, sondern die Belange und Interessen der Autor_innen entscheidend berücksichtigen. Lange Rede, kurzer Sinn: Unter der Prämisse, dass ich weder für eine Publikation zahle noch dafür bezahlt werde, gedenke ich meine Texte und Artikel ebenso auf eine Weise zu veröffentlichen, bei der den Leser_innen keine Kosten entstehen, und werde diesen Grundsatz auf meine künftigen Publikationen anzuwenden trachten.
Ukrainische Musikgeheimnisse
Eins weiß ich sicher: Über dem Kleinen Saal der Musikakademie Odessa schwebt der Geist von Emil Gilels. Überdies scheint diese Institution das einzige Konservatorium in Europa zu sein, das nach einer Frau benannt ist: nämlich der Koloratursopranistin Antonina Neždanova, der Widmungsträgerin von Rachmaninovs Vokalise. Andere Fragen hingegen sind während meiner Reise in die Ukraine offen geblieben: Warum haben Horowitz und Richter nicht mehr Musik von Metner aufgeführt, dessen Gastspiele im Land sie im Jahre 1927 miterlebten? Wo genau wurde Horowitz geboren? Und wie um alles in der Welt konnten die sowjetischen Behörden ihm einen Pass mit dem falschen Vatersnamen ›Semënovič‹ anstatt ›Samuilovič‹ ausstellen? Möglicherweise werden diese obskuren Sachverhalte eines Tages durch weitere Forschungen erhellt. Ich bin nun auf dem Weg ins schöne L’viv, wo ich einen weiteren Tag verbringen werde, bevor ich zur Alltagsroutine zurückkehre – das beginnende Wintersemester an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf wird meine ganze Aufmerksamkeit fordern.
Musik für Singstimmen
Es gibt zwei neue Verlautbarungen aus dem Bereich der Vokalmusik:
(1) Im letzten Jahr widmete ich meinem Sohn Lionel eine Komposition namens Silbensalat zu seinem vierten Geburtstag. Dabei handelt es sich um vier Kanons in verschiedenen Stimmkombinationen, Skalen und Intervallen, deren Texte Lionels liebste Dinge und Aktivitäten zum Thema haben. Gerade rechtzeitig zu seinem heutigen fünften Geburtstag habe ich endlich die Noten fertiggestellt, die hier verfügbar sind.
(2) Meiner Faszination für die ausdrucksstarke und feinsinnige Musik der Songwriterin Eleni Irakleous alias Eleni Era habe ich durch Bearbeitungen zweier ihrer Lieder Ausdruck verliehen, Beautiful Moon und Big Star, die nun in Versionen für Solostimme und gemischten Chor existieren. Die Noten stehen hier mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin zum Download; die Songs sind im Original an diesem Ort zu hören.
Handlanger und Verhandlungen
Nächste Woche wird am Bundesgerichtshof die Berufungsverhandlung in der Causa Siegfried Mauser stattfinden, von der ein endgültiges Urteil zur Höhe des Strafmaßes für verschiedene Sexualdelikte erwartet wird. Kurz vor dieser Entscheidung hat der Würzburger Verlag Königshausen & Neumann die baldige Veröffentlichung einer Festschrift zu Mausers 65. Geburtstag angekündigt, die von zwei seiner Vertrauten, dem Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer und der Musikwissenschaftlerin Susanne Popp, mitherausgegeben wird. Zwar ist davon auszugehen, dass bereits vor Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Mauser mit der Vorbereitung des Bandes begonnen wurde; dennoch ist fraglich, ob die Festschrift als intendierte Exkulpation gelten oder die Liste der Beitragenden als Liste von Mausers Parteigängern gelesen werden kann. In jedem Fall darf die Veröffentlichung eines Artikels oder einer Komposition in einer solchen Publikation als Geste der Unterstützung betrachtet werden, zumindest aber als unterlassene Distanzierung vom Widmungsträger als öffentliche Person. Blogs und soziale Medien haben bereits Position bezogen: Alexander Strauch erörtert in seinem Artikel mögliche Zwecke und Zielsetzungen der Festschrift, während Theo Geißler in seinem sprachlich entgleisten Kommentar verschiedene Komponisten, darunter Helmut Lachenmann, Manfred Trojahn und Wolfgang Riehm (sic!), as »Fummelkumpane« schmäht. Konkrete Kritik verbietet sich bis zum tatsächlichen Erscheinen; dann jedoch wäre eine besonnenere Beurteilung des Bandes und seines wissenschaftlichen Wertes wünschenswert, idealerweise in Gestalt einer Rezension.