Beim letzten Termin meines Seminars zur Geschichte der Musiktheorie an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf haben zwei asiatische Studierende ein kurzes Panoptikum chinesischer Theoriebildung vorgestellt. Einer von ihren gab einen Überblick über Ideen und Schriften des Universalgelehrten Zhu Zaiyu, der während der Zeit der Ming-Dynastie lebte und einen Ansatz entwickelte, um die Stufen der gleichschwebenden Stimmung genauer als jemals zuvor zu berechnen. Das andere Referat konzentrierte sich auf die Struktur traditioneller chinesischer Modi und die Übernahme einer Ziffernnotation, die auf das französische Galin-Paris-Chevé-System zurückgeht und als Alternative zur Solmisation verwendet wird. Ein Glücksfall, wenn man als Dozent die Gelegenheit erhält, signifikantes neues Wissen aus der eigenen Lehrtätigkeit gewinnen zu können!
Bildungsziele von Musikhochschulen
Als ich im Jahr 2010 mein Musikstudium beendete, war ich geneigt zu glauben, dass sich die Ziele der akademischen Musikausbildung niemals ändern würden, und dass die Hochschulen weiterhin hochqualifizierte Absolvent:innen in großer Zahl hervorbringen würden, in Vorbereitung auf ein Berufsbild, das längst nicht mehr der Realität entsprach: feste Vollzeitanstellungen in Orchestern und an Bühnen. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass Hochschulleitungen nicht bereit oder nicht in der Lage waren, den Arbeitsmarkt für Musiker:innen und die Bedingungen und Anforderungen für Berufseinsteiger:innen genauer zu beobachten. Dem Umstand, dass die große Mehrheit der Absolvent:innen einer Patchwork-Karriere in hybriden Arbeitsumfeldern entgegensah, gekennzeichnet durch befristete freischaffende Tätigkeiten und prekäre Vergütungen, wurde keine Rechnung getragen. Insbesondere befanden sich die Zahlen der verfügbaren Studienplätze für die künstlerische Ausbildung im Vergleich zu denjenigen für Lehrtätigkeiten in Schulen und Musikschulen in einem gravierenden Missverhältnis. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es eine dauerhafte Diskrepanz zwischen den Ausbildungszielen der Institutionen und den Erfordernissen des Arbeitsmarkts geben – dies war die vermeintlich einzig absehbare Zukunftsaussicht.
Immerhin besteht nach der Erfahrung der vergangenen Jahre Grund zur Hoffnung, dass sich etwas verändern wird. Viele Musikhochschulen haben auf die Herausforderungen der sich schnell wandelnden Branche reagiert und Lehrangebote zu den Themen Selbstmanagement und Berufskunde in ihre Curricula integriert; gelegentlich werden auch Veranstaltungen zur beruflichen Weiterentwicklung angeboten. Natürlich sind viele Gegebenheiten und Strukturen an den Hochschulen (die zum Teil noch in Traditionen und Arbeitsweisen verhaftet sind, die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammen) nach wie vor optimierungsbedürftig. Das wohl dringlichste Desiderat scheint zu sein, das in den Hochschulen bisher fest verankerte Streben nach einer Elitenausbildung auf den Prüfstand zu stellen, und sich stattdessen auf pädagogische Expertise als wichtigstes Ausbildungsziel zu konzentrieren. In einem lesenswerten Interview im VAN Magazin beschreibt Lydia Grün, die neue Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München, einige Maßnahmen, die ihr für ihre Institution vorschweben, und zeigt eine beachtliche Offenheit und Bereitwilligkeit für Reformvorhaben. Ich hoffe, dass diese Haltung auf andere Hochschulleitungen inspirierend wirkt oder zumindest Überlegungen ähnlicher Art in den Führungsetagen hervorruft.
Jetzt online: Pro Musik Magazin
Gestern ist ein neues Online-Medium, das Pro Musik Magazin, unter dem Dach des Pro Musik Verbands freier Musikschaffender an den Start gegangen, in dem Artikel, Interviews und Podcasts rund um die Belange freischaffender Musiker:innen erscheinen werden. Ich freue mich sehr, mit meinen beiden Kollegen vom Harfenduo, Laura Oetzel und Daniel Mattelé, in der Redaktionsleitung zusammenzuarbeiten. Mein erster Beitrag ist ein Interview mit dem Dirigenten und Pianisten Hans-Christian Hauser, in dem die von ihm gegründete Initiative Neue Musikhochschule vorgestellt wird. Das Konzept beinhaltet grundsätzlich neue Gedanken zur Strukturierung der professionellen Musikausbildung, die ich sehr beachtenswert finde und auf diesem Wege zu ihrer Verbreitung beitragen möchte.
Das Magazin wird zukünftig seinen Autorenbestand erweitern – wir freuen uns über neue Beiträger:innen. Wenn ihr also mitwirken möchtet und euch vorstellen könnt, einen Artikel oder Podcast zu einem für die freie Musikszene relevanten Thema beizusteuern, nehmt gern mit uns Kontakt auf.
Bundesdelegiertenversammlung beim DTKV
Hier ein kurzer Bericht von der diesjährigen Bundesdelegiertenversammlung des Deutschen Tonkünstlerverbands, die am 05.11.2022 stattfand und vom DTKV Bremen ausgerichtet wurde. Dank der souveränen Moderation durch Christian Höppner wurde eine kollegiale und grundsätzlich produktive Atmosphäre geschaffen. Für die Behandlung des zentralen berufspolitischen Themas der letzten Monate, Honorarstandards und faire Vergütungen für freischaffende Musiker*innen, wurde jedoch zu wenig Zeit eingeräumt und die diesbezügliche Positionierung des DTKV nicht in ausreichendem Maße mit den Landesverbänden abgestimmt. Die Delegierten und das Präsidium vereinbarten, im nächsten Jahr einen zweiten Versammlungstag abzuhalten, um den inhaltlichen Austausch intensivieren zu können. Bedingt durch gegensätzliche Kommunikationshaltungen des Präsidiums und einiger Landesverbände verlief die Verständigung im Vorfeld der Versammlung allerdings sehr einseitig, weshalb die Delegierten sich vor Ort deutlich ausgiebiger mit formalen Fragen und buchhalterischen Interna beschäftigen mussten, als notwendig gewesen wäre. In einigen Abstimmungen war zudem spürbar, dass gegenüber Veränderungen und Reformen noch große Vorbehalte bestehen.
Dem Verband ist zu wünschen, dass neben der unabdingbaren Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen und Kommunikationswegen Strategien für eine tragfähige und an den Bedürfnissen der Mitgliederbasis orientierte Interessenvertretung entwickelt werden, die sich auch in einer deutlich ausgeweiteten und professionalisierten Öffentlichkeitsarbeit niederschlagen sollten. Die neue Webseite des Bundesverbands besitzt hierfür vielversprechendes Potential.
Skrjabin und die Sonate(nform)
In diesem Semester biete ich an der Technischen Universität Dortmund ein Werkanalyseseminar zu Aleksandr Skrjabins Sonatenkonzepten an. Das behandelte Repertoire wird von den frühen Sonaten der 1880er Jahre bis zum Poème de l’extase op. 54 reichen und schließt sowohl Klavier-Sololiteratur als auch die drei Symphonien und das Klavierkonzert op. 20 ein. Da die Teilnehmerzahl etwas geringer ist als erwartet, kann ich einige Gäste zulassen – lasst es mich gern wissen, falls ihr dazukommen möchtet. Das Seminar findet donnerstags statt, mit alternierenden Präsenz- und Online-Terminen.