Wendelin Bitzan
Offener Brief

Offener Brief

Das folgende Schreiben habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Anne Uerlichs am 10. Dezember 2020 als Reaktion auf einige Artikel in der Ausgabe 12/2020–01/2021 der neuen musikzeitung verfasst. Da die Chefredaktion den Text nicht als Leserbrief bringen möchte, veröffentliche ich ihn als offenen Brief an dieser Stelle und ergänze ihn durch einige Anmerkungen.

Offener Brief an die neue musikzeitung

Sehr geehrter Herr Koch,
sehr geehrter Herr Kolb,

wir schreiben Ihnen, um unser Erstaunen und unsere Bestürzung angesichts der bedenklichen Entwicklung, welche die Seiten des Deutschen Tonkünstlerverbands in der neuen musikzeitung genommen haben, zum Ausdruck zu bringen. Die Verbandsnachrichten in der aktuellen Ausgabe 12/2020–1/2021 stellen unseres Erachtens einen vorläufigen Tiefpunkt in einem Abwärtstrend der letzten Jahre dar, in dessen Zuge journalistische Standards fast vollständig preisgegeben worden zu sein scheinen und offenbar keine Qualitätskontrolle stattfindet.
Uns ist bewusst, dass der DTKV-Teil der nmz inhaltlich nicht von der Chefredaktion verantwortet wird. Dennoch dürfte es in Ihrem Interesse und Einflussbereich liegen, dass die Verbandsseiten inhaltlich und stilistisch nicht derartig gegenüber den übrigen Teilen der nmz abfallen.
Im Folgenden einige kurze Beispiele aus der aktuellen Ausgabe.1 Wir nehmen insbesondere auf Beiträge aus dem DTKV-Landesverband Berlin Bezug, dem wir selbst angehören.

(1) S. 41: In ihrer Kolumne formuliert die ehemalige Vorsitzende des DTKV Berlin2 auf eine für Außenstehende kaum verständliche Weise Kritik an einigen Mitgliedern des Landesverbands, die sich offenbar angesprochen fühlen sollen, indem ihnen das Säen von Misstrauen und Verbreiten von Fake News unterstellt wird. Die Verfasserin spielt hier auf verbandsinterne Konflikte an und versucht die Leserschaft der nmz auf eine Weise zu beeinflussen, die selbst in dem weniger faktengebundenen Stil einer Kolumne fehl am Platz ist.3 Die Kolumne übermittelt also mitnichten »besinnliche« Weihnachtswünsche, sondern dient der Verfasserin in erster Linie als Vehikel für einen verdeckten Angriff gegen ihre Gegner in einer verbandsinternen Auseinandersetzung.

(2) S. 44: Die Rezension der »Steglitzer Tage für Alte Musik« ist durch die Leiterin dieser Veranstaltung4 selbst verfasst worden, die ihre Voreingenommenheit und fehlende Neutralität zu kaschieren versucht, indem sie von sich selbst in der dritten Person spricht. Dass durch die Besprechung eines Projekts, an dem man selbst federführend beteiligt ist, ein journalistischer Interessenkonflikt und ein massives Glaubwürdigkeitsproblem entsteht, scheint weder der Verfasserin bewusst zu sein noch einigen ihrer ehemaligen Vorstandskolleg_innen im DTKV Berlin, die seit Jahren die zweifelhafte Tradition pflegen, Konzerte und andere Verbandsveranstaltungen, an denen sie selbst mitgewirkt haben, in blumigen Worten in der nmz darzustellen.5 Die journalistischen Leitlinien der Zeitung, die eine Verquickung der Berichterstattung mit den persönlichen Interessen der Autor*innen ausdrücklich verbieten, werden in diesem Artikel auf eklatante Weise missachtet.

(3) Neben einigen durchaus hochwertigen und lesenswerten Beiträgen sind mehrere andere Artikel im DTKV-Teil der aktuellen und der letzten Ausgabe im Hinblick auf die sprachliche und fachliche Kompetenz der Autor_innen defizitär und ergehen sich inhaltlich weitgehend in Belanglosigkeiten.6 Als Beispiele können etwa die Rezension eines DTKV-Konzerts in Wuppertal (S. 45) sowie die Besprechung der Musik-Ferienwoche der Allgäuer Tonkünstler (S. 43, nmz 11/2020) dienen, ebenso wie eine Vielzahl anderer Artikel der letzten Ausgaben, in denen DTKV-Mitglieder dem Geltungsbedürfnis ihrer Kolleg_innen Rechnung tragen, indem sie Geschehnisse von bestenfalls regionaler Strahlkraft auf eine publizistische Ebene heben, die über deren tatsächliche Bedeutung in die Irre führt.

Offenbar führt die Eigenverantwortlichkeit der Landesverbände in Bezug auf die Auswahl und das Verfassen der Beiträge für die DTKV-Seiten zu sehr zweifelhaften und zum Teil indiskutablen Ergebnissen. Dass die DTKV-Landesverbände die nmz mitfinanzieren, sollte nicht zur Folge haben, dass Beiträgen aus den Landesverbänden journalistische Narrenfreiheit eingeräumt wird.
Wir appellieren dringend an Sie, Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu treffen, die geeignet sind, das Erscheinen der nmz als Verbandsorgan des DTKV weiterhin zu rechtfertigen, und möchten anregen, ein länderübergreifendes Gremium zur redaktionellen Supervision des Verbandsteils zu installieren, das sowohl eine Begutachtung aus journalistischer Sicht als auch ein professionelles sprachlich-fachliches Lektorat gewährleistet. Solange manche Artikel den oben beschriebenen desolaten Eindruck vermitteln, leidet darunter sowohl die Außenwirkung des DTKV auf Landes- und Bundesebene als auch die Reputation der neuen musikzeitung.

Anne Uerlichs
Wendelin Bitzan


  1. Diese offensichtlichen Fehlleistungen erscheinen in der allerdings exemplarisch für die Entwicklung der letzten Monate und Jahre.
  2. Es handelt sich um Adelheid Krause-Pichler, die noch immer als Redakteurin des Berliner Landesverbands agiert, obgleich sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand nicht mehr mit dieser Aufgabe betraut wurde.
  3. Zudem ist fraglich, wie zuverlässig die in wörtlicher Rede zitierte Wiedergabe des mündlichen Vortrags eines namentlich nicht genannten Wissenschaftlers sein kann, den Krause-Pichler ebenfalls für ihre Zwecke instrumentalisiert. Im Ganzen wirkt es unangenehm manipulativ, dass die Verfasserin vorgibt, aus der Perspektive der Vizepräsidentin des DTKV-Bundesverbands zu schreiben, als Aufhänger für ihren Text aber einen Streitfall auf Landesebene wählt, in den sie selbst verwickelt ist.
  4. Es handelt sich um Anka Sommer, die derzeitige Schatzmeisterin des DTKV Berlin.
  5. In diesem konkreten Fall attestiert Sommer sich eine »positive Einstellung« und »charakteristisches Durchhaltevermögen«, um sich am Schluss gar selbst zu danken und zu gratulieren, dass sie »sich nicht hat unterkriegen lassen«. Dass sie dieses hemmungslose Eigenlob tatsächlich mit ihrem Namen signiert und nicht einmal den Anstand besitzt, einen Ghostwriter zu engagieren oder zumindest eine andere Person als solchen zu benennen, spricht Bände.
  6. Insofern lassen sie bei der Leserschaft kaum ein anderes Urteil zu als jenes, das Wikipedia-Admins nach der Löschung eines Artikels dessen Erstellern zur Begründung zu geben pflegen: »zweifelsfreie Irrelevanz«.