In einem faszinierenden Longread hat ein*e anonyme*r Dirigent*in seine / ihre Abrechnung mit dem klassischen Musikbetrieb veröffentlicht. Ein Bekenntnis von solch bestechender Aufrichtigkeit und Kühnheit, das die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte schonungslos offenlegt, habe ich aus der Feder eines Insiders noch nicht gelesen. Es handelt sich nicht eigentlich um eine Klage, sondern um eine Analyse des Niedergangs einer ganzen Industrie, wie der Untertitel es treffend bezeichnet, die in meinen Augen von Personen, denen die Zukunft professioneller Musikausübung und die Ausbildung von Musiker*innen am Herzen liegt, unbedingt zur Kenntnis genommen werden sollte. Ich stimme nicht jedem einzelnen Aspekt zu – etwa kann ›Größe‹ nicht als Kriterium für Qualität dienen, ebensowenig wie die zweifelhafte Kategorie des ›Meisterwerks‹ –, doch in ihren wesentlichen Punkten ist die Kritik uneingeschränkt relevant und plausibel. Die / der Autor*in hat überzeugend dargelegt, warum sie / er ihre / seine Identität nicht preisgeben kann (lest dazu bitte auch das Interview). Meinerseits bin ich jedoch bereit, für die Positionen und Schlussfolgerungen des Artikels einzustehen. Das Geschäft mit der klassischen Musik ist zu einer kapitalistischen Farce verkommen. Einige Dinge werden sich maßgeblich verändern müssen.