Wendelin Bitzan

Wendelin Bitzan

Blasphemieopfer Barenboim?

Ich finde die jüngste Berichterstattung über den Führungsstil Daniel Barenboims einigermaßen überraschend. Ein Artikel im VAN Magazin erhebt zwischen den Zeilen den Anspruch des Aufdeckens von Tatsachen oder neuen ›Einblicken‹ in die Berliner Musikszene, während andere Stimmen die Angelegenheit herunterspielen, den Eindruck erwecken, dass die Diskussion gerade erst begonnen habe, oder den Protagonisten gar im Sinne einer überkommenen Genieästhetik verteidigen. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass die meisten in irgendeiner Weise mit der Staatsoper Unter den Linden, der Staatskapelle Berlin oder der Barenboim-Said Akademie verbundenen Musiker_innen ähnliche Geschichten erzählen könnten, wie sie bei VAN anonymisiert wiedergegeben werden. Es scheint offensichtlich, dass hier jemand zuviel Macht besitzt – aber das eigentliche Problem ist nicht Barenboim selbst, sondern das System, das ihm zur Macht verholfen hat, ihm enorme finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, ihn seit Jahrzehnten hofiert und zulässt, dass er drei öffentlich geförderte Institutionen kontrolliert. Sicherlich muss man Barenboim dafür verantwortlich machen, despotische Arbeitsbedingungen kultiviert und quasi-feudalistische Strukturen in seinen Umfeldern herbeigeführt zu haben. Dennoch liegt die Hauptverantwortung für diese Fehlentwicklungen bei der Bundesregierung und dem Berliner Senat, die sich um jeden Preis einen vermeintlichen Weltklassedirigenten als ›Leuchtturm‹ des Berliner Geltungsdrangs leisten. Die derzeitige Kritik ist berechtigt, aber wirkungslos, solange sich große Teile der Berliner Kulturpolitik dermaßen von Barenboim abhängig machen. Sein Fall ist nur ein Symptom eines korrumpierten klassischen Musikbetriebs, der in den Institutionen wie auch in der Berufsausbildung durchgängig auf Hierarchien, Autoritätshörigkeit und Machtausübung fußt.

Nachruf auf Lajos Papp

Gestern hat mich die traurige Nachricht vom Tode meines ehemaligen Lehrers Lajos Papp (1935–2019) erreicht, der einflussreichsten Persönlichkeit in der Musikausbildung meiner frühen Jugendzeit. Als Komponist und hingebungsvoller Klavierpädagoge, der über Jahrzehnte an der Musikschule Oldenburg beschäftigt war, hat Papp meine künstlerische Persönlichkeit in entscheidendem Maße geprägt, und ich schätze mich glücklich, sein Schüler gewesen zu sein. Auch wenn das Unterrichtsverhältnis nur etwa drei Jahre gedauert hat, zehre ich nach wie vor von seiner undogmatischen und einfühlsamen Haltung und seiner Fähigkeit, die Kreativität und das musikalische Erleben der Schüler_innen individuell zu fördern, und erkenne seinen Einfluss in meiner eigenen Lehr- und Musiziertätigkeit wieder. In Debrecen geboren, war Papp in der Tradition der ungarischen Musikausbildungstradition verwurzelt und machte mich mit den Werken Béla Bartóks sowie mit seinen eigenen Kompositionen vertraut, die für mich bis heute eine Quelle der Inspiration darstellen. Möge er in Frieden ruhen, und möge seine unverwechselbare Lehrmethodik auch weiterhin die Ausbildung vielversprechender junger Musiker_innen prägen!

Unterrichten am Rhein

Mein zweites Semester als Dozent für Musiktheorie an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf ist fast beendet. Die allermeisten meiner Studierenden im Ergänzungsfach Musikwissenschaft sind kommunikativ und hoch motiviert, und durch ihre scharfsinnigen Nachfragen und Kommentare haben sie einen großen Anteil daran, dass mir das Unterrichten zu einem Vergnügen wird. Derzeit korrigiere ich eine Reihe von Kontrapunkt- und Generalbass-Arbeitsblättern, bevor ich mich der Vorbereitung der bevorstehenden Klausuren und mündlichen Tests widmen werde – 40 Kandidat_innen im musiktheoretischen Propädeutikum erwarten demnächst ihre Modulabschlussprüfungen.

Mitschnitte vom Metner-Festival

Ich freue mich, die letzten Ergebnisse meiner verhältnismäßig seltenen, aber um so leidenschaftlicheren Konzerttätigkeit am Klavier mit euch teilen zu können. Hier sind zwei Tondokumente meiner Beschäftigung mit Nikolai Metners Klavier- und Kammermusik; sie entstammen dem Mitschnitt eines Konzertes im November 2018 in der Villa Oppenheim Berlin, das im Rahmen des ersten ausschließlich der Musik Metners gewidmeten Festivals im deutschsprachigen Raum stattfand. Beide Kompositionen gehören in meinen Augen zu den herausragendsten musikalischen Leistungen Metners: Die Sonate-Vocalise op. 41 Nr. 1, ein bemerkenswertes Beispiel seines Umgangs mit der textlosen Singstimme, nimmt eine einzigartige Position in der Gattungsgeschichte ein, während die Sonate-Elegie op. 11 Nr. 2 sich durch ihre pionierhafte Formarchitektur von den meisten anderen einsätzigen Klaviersonaten des frühen 20. Jahrhunderts abhebt. Bei den Aufnahmen handelt es sich um zurückhaltend nachbearbeitete Live-Mitschnitte, die nicht den Anspruch technischer Vollkommenheit erfüllen. Dennoch schätze ich mich glücklich, meine Forschung zu Metner mit dem intensiven Studium seiner Musik verbinden und seine Musik auch aus der Perspektive des Interpreten beleuchten zu können. Besonderer Dank geht an die Sopranistin Anna Hofmann, die das Konzert durch ihre berührende Darbietung zu einer meiner schönsten Erinnerungen auf der Bühne werden ließ, und ich hoffe, dass euch diese Musik ebenso beglücken wird wie mich.

Sangesseligkeit

Heute hat mein bezauberndes Töchterlein ihr erstes Solo gesungen – in einem Weihnachtskonzert des Berliner Mädchenchores, mit dem sie in der Lindenkirche Berlin den Titel »Schläft ein Lied in allen Dingen« (in einer Fassung von Ernst Wieblitz) zur Aufführung brachte. Herzlichen Dank an Eleni Irakleous, Stelios Chatziktoris und Sabine Wüsthoff für die Gestaltung dieses wunderbaren und bewegenden Konzertprogramms!