Anschauen vor Zuhören?
Anschauen vor Zuhören?

Anschauen vor Zuhören?

Offenbar existiert keine allgemeine Vorstellung davon, was es heißt, sich als klassische*r Musiker*in selbst zu promoten. Musikhochschulen geben zumeist wenig Anregungen und Impulse hinsichtlich der Marketinginstrumente, die ihren Absolvent*innen als Soloselbständige zur Verfügung stehen, und so bleibt diesen die Wahl der Mittel für Selbstpräsentation und Audience Development weitgehend selbst überlassen. Dies resultiert allzu häufig in einer Orientierung an den Mechanismen des kommerziellen Musikbetriebs – und damit in einem Primat des Visuellen: Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt auf dem eigenen Aussehen. Ganze Scharen von Interpret*innen beglücken ihr Publikum nicht etwa in erster Linie durch ihr Musizieren, sondern durch das Bestreben, sich in ihren aktuellen Konzertankündigungen, Amateurvideos oder Fotoshootings optisch vorteilhaft in Szene zu setzen.

Liebe Leute, wie wäre es denn, wenn ihr eure Reichweite in den sozialen Medien zur Unterstützung derjenigen Kolleg*innen einsetztet, die nur mit Mühe ihren Lebensunterhalt durch das Musizieren bestreiten können? Ist es statthaft, die eigene Marketingstrategie auf möglichst gutes Aussehen auszurichten, wenn so viele eurer freiberuflichen Mitstreiter*innen nicht angemessen bezahlt werden? Ich schlage vor, ein gewisses Standesbewusstsein in eure Selbstpräsentation zu integrieren: Bringt euren Followern die Wichtigkeit einer gesellschaftlichen und politischen Interessenvertretung nahe und lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf die desolate Situation des freiberuflichen Musikertums. Es wird eure Glaubwürdigkeit erhöhen, wenn ihr nicht nur hübsch ausseht und schön musiziert, sondern euch auch mit den elementaren Problemen unserer Branche beschäftigt und euch zu diesen positioniert. Wetteifert nicht um Komplimente, sondern um berufsständische Anerkennung. Entledigt euch eurer glamourösen Instagram-Profile, tretet stattdessen einem Berufsverband bei, engagiert euch für verbesserte Arbeitsbedingungen und werdet zu Botschaftern des Wohlergehens eurer Profession. Euer Einsatz wird vielfältig gewürdigt werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.